Ohne Störungen und fast im Zeitplan hat die neue und nach ihr benannte Partei von Sahra Wagenknecht nach etwas über zehn Stunden ihren ersten Parteitag und die Aufstellung der Kandidaten für die Europawahl über die Bühne gebracht.
Dabei zeigte sich, dass die knapp 400 handverlesenen Mitglieder, die im Berliner Kosmos-Kino dabei sein durften, voll auf Linie sind. Es gab keine Zwischenfragen, keine Änderungsanträge, die vorher gesetzten 20 Kandidaten wurden im Rekordtempo und allesamt ohne Gegenkandidaten auf die Liste zur Europawahl wählt.
Zu Beginn hatte die Parteivorsitzende des neu gegründeten „Bündnisses Sahra Wagenknecht“ (BSW), Amira Mohamed Ali, die hohe Erwartungen thematisiert. Sie wisse auch, wie groß die Sorgen vor wirtschaftlichem Abstieg und Kriegen seien: „Es ist an uns, all diesen Menschen wieder Hoffnung zu geben: Wir sind das Bündnis, wir sind die Partei, auf die so viele Menschen in unserem Land so lange gewartet haben.“ Vor allem wolle man kein Teil der „abgehobenen, selbstgerechten Politblase“ sein, in der man sich ständig die Finger „wund twittere“ und dabei die Sorgen der Menschen aus den Augen verliere, so Mohamed Ali.
Ihre Co-Parteichefin Sahra Wagenknecht kritisierte in ihrer Rede ihre ehemalige Partei und beteuerte: „Wir sind keine Linke 2.0“. Man wolle Strukturen zu schaffen, in denen sich nicht die „Rücksichtslosesten“ durchsetzten, sondern die „Talentiertesten“. „Lasst uns pfleglich miteinander umgehen“, so Wagenknecht.
Gleichzeitig teilte sie gegen die Ampel-Regierung aus: Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses wurde als „Marie-Agnes Strack-Rheinmetall“ bezeichnet – dafür gab es donnernden Applaus. Über Grünen-Chefin Ricarda Lang machte sich Wagenknecht mit ihren Anhängern lustig, weil die kürzlich in einem Interview gezeigt hatte, dass sie die durchschnittliche Renten-Höhe in Deutschland nicht kannte.
Während sich Wagenknecht und Ali auf dem Gründungsparteitag nicht als Parteichefinnen bestätigen ließen, wurden Friederike Benda und Amid Rabieh als stellvertretende Parteivorsitzende in den Vorstand gewählt. Benda bekam laut Angaben der Partei rund 96 Prozent der Stimmen, Rabieh rund 94 Prozent.
Dass einzige Mal muckten die Teilnehmer des Gründungsparteitags auf, als Düsseldorfs früherer Oberbürgermeister und Ex-SPD-Politiker Thomas Geisel in den erweiterten Parteivorstand gewählt werden solle: er bekam mit rund 66 Prozent das mit Abstand schlechteste Ergebnis von 14 Kandidaten, bei der späteren Wahl auf Platz zwei der Europawahlliste waren es mit knapp 72 Prozent nur unwesentlich mehr – die anderen Kandidaten erhielten in der Regel meistens über 90 Prozent. Zum heimlichen Star wurde dabei der Publizist Michael Lüders – er bekam sowohl bei der Vorstandswahl wir auch bei der Listenwahl das beste Ergebnis aller Kandidaten mit nahe 99 Prozent – gesetzt worden war er allerdings nur auf Listenplatz neun.
Für frenetischen Jubel sorgte am Ende Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine, Ex-Chef sowohl der SPD als auch der Linken. Der teilte in einer denkwürdigen Rede gegen das politische Establishment aus. Er wolle die deutsche Sprache bewahren, weil eine linke Partei die Sprache des Volkes sprechen müsse. Allen, die das Gendern für links hielten, rufe er entgegen: „Ihr habt sie nicht mehr alle“, so der 80-Jährige. Das Vorgehen Israels im Gazastreifen bezeichnete Lafontaine als „Kriegsverbrechen“ und in Bezug auf die Ukraine wandte er sich erneut gegen Waffenlieferungen. So wie es angesichts der Geschichte nicht vertretbar sei, dass Deutschland Waffen liefere, mit denen Juden ermordet werden können, dürfe man auch keine Waffen liefern, mit denen wieder Russen ermordet werden können, so Lafontaine.
Foto: Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine am 27.01.2024 [dts]