Kanzlerwahl: Wirtschaft fürchtet Schaden durch Hängepartie

Kanzlerwahl: Wirtschaft fürchtet Schaden durch Hängepartie

Ökonomen und Vertreter von Wirtschaftsverbänden haben den gescheiterten ersten Wahlgang bei der Wahl des Bundeskanzlers scharf kritisiert.

Die „Unfähigkeit“ von CDU-Chef Friedrich Merz, „eine Mehrheit zu gewinnen, erschüttert das Vertrauen in die politische Handlungsfähigkeit und könnte dadurch auch wirtschaftlichen Schaden verursachen“, sagte Fratzscher der „Rheinischen Post“ (Mittwochausgabe). „Der Koalitionsvertrag wird von vielen Abgeordneten abgelehnt, enthält kaum verbindliche Vereinbarungen und bleibt bei zentralen Themen wie Steuer-, Renten- und Migrationspolitik vage“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). „Union und SPD brauchen mehr Mut zu echten Reformen. Der aktuelle Koalitionsvertrag bietet keine tragfähige Grundlage für die kommenden Jahre.“

Der Leiter des Hauptstadtbüros des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Knut Bergmann, hat nach dem gescheiterten ersten Wahlgang von Friedrich Merz (CDU) vor den ökonomischen Folgen gewarnt. „Wichtig für die Wirtschaft wie das ganze Land ist, dass die Regierung möglichst schnell ins Handeln kommt – zu viele Themen liegen brach, zumal unter den gegebenen außen- und handelspolitischen Bedingungen“, sagte Bergmann dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Mittwochausgaben).

„Dass Friedrich Merz nicht im ersten Wahlgang gewählt wurde, mag zwar in ein paar Monaten vergessen sein, aber für den Moment weckt dies Zweifel an der Stabilität der Koalition“, so der Ökonom. Gerade die Wirtschaft brauche verlässliche Rahmenbedingungen, zu denen auch eine stabile Bundesregierung zähle. „Der einzige Profiteur wird politisch einmal mehr die AfD sein – eine Partei, die ökonomisches Gift für unser Land ist.“

Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, pochte ebenfalls auf Stabilität. „Das Scheitern im ersten Wahlgang ist ein verheerendes Signal – und eine denkbar schlechte Nachricht für die deutsche Wirtschaft“, sagte Adrian dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Mittwochausgaben). „In einer Zeit, in der unser Land vor enormen wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen steht, ist politische Handlungsfähigkeit unerlässlich. Statt Klarheit herrscht weiter Unsicherheit“, klagte der DIHK-Präsident. „Die dringend benötigte Stabilität lässt weiter auf sich warten – das ist kein gutes Zeichen für Unternehmen und Investoren“, fügte er hinzu.

Adrian appellierte an die Abgeordneten des Bundestags, nun schnell für Klarheit zu sorgen. „Alle politischen Akteure tragen jetzt Verantwortung, zügig eine belastbare und handlungsfähige Regierung zu bilden. Die Wirtschaft kann sich keine lange Hängepartie leisten“, sagte der Kammervertreter. „Uns droht ein drittes Jahr ohne Wachstum: Unternehmen verschieben weiter Investitionen, Betriebe schließen, Arbeitsplätze geraten stärker unter Druck“. Die Unternehmen stünden bereit, ihren Beitrag zu leisten, so Adrian. „Aber sie brauchen Rückenwind – und ein verlässliches politisches Umfeld. Ohne politische Führung wird die wirtschaftliche Erholung nicht gelingen.“

Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hat die Fraktionen von Union und SPD aufgefordert, rasch für politische Klarheit bei der Kanzlerwahl und der Regierungsbildung zu sorgen. „Für die Wirtschaft ist jede Form von Unsicherheit Gift“, sagte Schnitzer der „Rheinischen Post“ (Mittwochausgabe). „Es ist deshalb zu hoffen, dass die Regierungsbildung rasch gelingt“, sagte die Vorsitzende des Wirtschafts-Sachverständigenrats der Bundesregierung.

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sieht ein schlechtes Signal in der gescheiterten Kanzlerwahl. „Das ist ein unglücklicher Start, aber es lag auch in der Luft“, sagte Grimm der „Rheinischen Post“ am Dienstag.

Die Nürnberger Ökonomin forderte nun klare Entscheidungen, damit sich die Stimmung in der Wirtschaft rasch dreht. „Einfache Signale der Zuversicht gibt es jetzt nicht, es braucht Lösungen. Einige hoffen immer noch darauf, dass sich einfach nur die Stimmung verbessern muss. Aber das ist schlicht falsch, es braucht klare Entscheidungen – wir werden sehen, ob die Regierung die Kraft dazu findet.“

Das Regieren für die Koalition von Merz werde schwierig werden. „Schwer wird es sicherlich, denn man kann es in der aktuellen Situation niemandem Recht machen. Einigen ist die Wirtschaftspolitik zu wenig marktorientiert, anderen zieht sich der Staat zu stark zurück. Die geplante Migrationspolitik ist einigen zu hart, anderen zu lasch. Es dürfte schwierig werden“, so Grimm.