Fußball-Nationalelfkapitän Ilkay Gündogan sieht sich vor dem Start der Europameisterschaft als Vorbild für Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland. „Ich weiß, dass es Menschen wie mich in Führungspositionen braucht, weil es eine neue Realität in Deutschland widerspiegelt“, sagte Gündogan dem „Spiegel“. „Wir sehen vielleicht anders aus, aber wir sind auch deutsch.“
Gündogan wird bei der am 14. Juni startenden EM in Deutschland der erste Kapitän einer deutschen Männer-Fußballnationalelf bei einem Turnier sein, der eine Migrationsgeschichte hat. Spielführer zu sein, mache ihn stolz, erklärte er. „Es ist ein sehr schönes Gefühl, Schwarz-Rot-Gold als Kapitänsbinde am Arm tragen zu dürfen.“ Er wolle seine Familiengeschichte dabei aber nicht zu wichtig nehmen. „Ich bin ja nicht Kapitän geworden, weil ich einen Migrationshintergrund habe“, sagte Gündogan.
Zuletzt hatte eine Umfrage im Auftrag des WDR für Schlagzeilen gesorgt. Demnach wünschen sich 21 Prozent der Befragten mehr weiße Spieler im Nationalteam. Gündogan rief dazu auf, die Gemeinsamkeiten zu betonen. „Sehen Sie, bei uns in Barcelona oder auch in unserer deutschen Nationalelf spielen Profis mit unterschiedlichen Herkünften zusammen. Trotzdem funktioniert dort der Umgang miteinander richtig gut.“
Dass es in der Gesellschaft Probleme beim Thema Vielfalt gibt, finde er „sehr schade“, so der Nationalelfkapitän. „Wenn es in einem Fußballteam geht, wo jeder auch seine Eigeninteressen hat und wo der Druck hoch ist, warum dann nicht im Land? Das würde ich mir wünschen.“
Gündogan wuchs als Kind türkischer Eltern in Gelsenkirchen auf. „Sie wollten, dass wir uns integrieren. Und das geht erst einmal über Sprache“, sagte der Champions-League-Sieger von 2023. Mit seinem Bruder hätte er stets Deutsch gesprochen. „Mir ging es schon als Kind immer darum, dass ich irgendwo dazugehören wollte.“
In der Nationalelf habe es Momente gegeben, „in denen ich Kritik an meinem Spiel so verstanden habe, als wollten mich bestimmte Leute einfach nicht dabeihaben“, sagte Gündogan. „Das hat besonders wehgetan. Aber ich habe irgendwann verstanden, dass es nicht grundsätzlich so ist, sondern dass ich auch einfach mal ein schlechtes Spiel gemacht habe.“ Er habe angefangen, sich über seinen sportlichen Wert zu definieren. „Umso höher der wurde, desto mehr wurde ich akzeptiert.“
2018 sorgte Gündogan zusammen mit Mesut Özil für ein Politikum. Beide ließen sich vor der WM in Russland mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan fotografieren. „Die öffentlichen Reaktionen waren zum Teil nicht einfach zu verarbeiten“, sagte Gündogan. „Ich habe mir damals gesagt: Du gibst nicht einfach auf. Du musst dich jetzt beweisen, auch als Charakter.“
Die Heim-WM 2006 habe ihn als Jugendlichen geprägt. „Diese Stimmung hat mir ein ganz neues Gefühl von Deutschland vermittelt.“ Jetzt als Nationalspieler bei einem Heim-Turnier „empfinde ich es als unsere Verantwortung, das zu wiederholen“.
Foto: Fanmeile zur Fußball-EM (Archiv) [dts]