Vor der Ministerpräsidentenkonferenz am Montag im Kanzleramt hat Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) den Vorschlag seines nordrhein-westfälischen Amtskollegen Hendrik Wüst (CDU) abgelehnt, Geflüchtete nach ihrer Ankunft in Europa für Asylverfahren in afrikanische Drittstaaten zu bringen. „Dass Asylverfahren in Transitländern begonnen werden, halte ich für denkbar, die Kanadier verfahren beispielsweise so, aber dass wir Menschen gegen ihren Willen über die halbe Welt in ein Land verfrachten, zu dem sie keinerlei Bezug haben, kann ich mir nicht vorstellen“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.
„Sie wären in diesem Land ohne jede Perspektive und es wäre völlig unklar, wie es mit Ihnen nach einem erfolglosen Asylverfahren weitergehen würde. So etwas dürfte schon an rechtlichen Hürden scheitern.“ Weil verwies darauf, dass die Ministerpräsidenten bei ihrer Konferenz in Frankfurt am 13. Oktober die Überschrift „Humanität und Ordnung“ für die Migrationspolitik gewählt hätten. Er mahnt, die humanitären Ansprüche aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig müsse dafür gesorgt werden, dass Menschen ohne Bleibeperspektive Deutschland zeitnah wieder verließen. „Das ist zwingend notwendig, wenn wir auch in Zukunft den wirklich Schutzbedürftigen helfen wollen“, sagte Weil. Unterdessen fordern Bundestagsabgeordnete der SPD die Verlagerung von Asylverfahren außerhalb Europas. In einem „Impulspapier“, über das der „Spiegel“ berichtet, sprechen sich die Sozialdemokraten Lars Castellucci, Frank Schwabe und Fabian Funke für die „Einrichtung von `Migrationszentren` in sicheren Drittstaaten als Anker- und Anlaufpunkt für Schutzsuchende“ aus. Erst nach Bearbeitung ihrer Anträge sollen nach dem Vorschlag asylberechtigte Migranten in EU-Staaten einreisen dürfen. „In den `Migrationszentren` sollen langfristige Visa ausgegeben sowie anschließende Möglichkeiten der regulären und sicheren Einreise in die EU geschaffen werden“, schreiben die drei Sozialdemokraten. Auch nach ihrer Ankunft in der EU sollen Asylsuchende zur Prüfung ihrer Anträge an sogenannte sichere Drittstaaten überstellt werden können. Dazu regt das SPD-Trio „Rückführungsabkommen“ an. „Dabei verpflichtet sich der Drittstaat, eine feste Anzahl an irregulär in die EU gelangte Personen aufzunehmen“, heißt es in dem Papier. „Bei positivem Bescheid wird über Kontingente die sichere Reise in die EU gewährleistet.“ Jeder Person, die die gesetzlichen Kriterien für Asyl erfüllt, werde ein Schutzstatus gewährt. Eine Obergrenze solle es nicht geben. „So wird irreguläre und lebensbedrohliche Migration durch legale und sichere Migration ersetzt“, schreiben die Bundestagsabgeordneten. Ihr Papier trägt den Titel „Schluss mit dem Massengrab Mittelmeer durch ein humanes und kontrolliertes Asylmanagement“. Die in Drittstaaten ausgelagerten Asylverfahren sollen dem Konzept zufolge in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen und der EU betrieben werden. „Alle humanitären und menschenrechtlichen Standards müssen in diesen Einrichtungen gewahrt bleiben“, fordern die Verfasser des Papiers.
Zudem müsse die Rechtsstaatlichkeit garantiert sein. Niemand dürfe gegen seinen Willen in den neu zu schaffenden Einrichtungen festgehalten werden. Als Gegenleistung sollen Drittstaaten Geld erhalten für „Regionen und Kommunen, die die `Migrationszentren` beherbergen“, lautet der SPD-Vorschlag. „Auch Visa-Liberalisierung und vereinfachte EU-Arbeitsvisa für die Staatsbürger des Drittstaats sind denkbar.“
Zuletzt hatte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) Asylverfahren außerhalb der EU gefordert. Danach gefragt, hatten sich Bundeskanzler Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser (beide SPD) zu Wochenbeginn skeptisch geäußert, ebenso wie SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Die Initiatoren des Papiers gehören nicht der konservativen Strömung der SPD an, die sich schon länger für eine restriktivere Migrationspolitik einsetzt. Die Abgeordneten Schwabe und Funke sind Teil des linken SPD-Flügels, Castellucci zählt zu den progressiven Reformern. „Uns ist bewusst, dass eine sozialdemokratische Ideallösung anders aussieht“, schreiben sie in ihrem Papier. Für ihren kontroversen Vorstoß führen sie humanitäre Motive an: „Schutzsuchende müssen die Möglichkeit bekommen, Asylanträge für EU-Mitgliedstaaten zu stellen, ohne dass sie ihr Leben riskieren und sich in die Hände von Schleppern und Schleusern begeben.“
Foto: Hendrik Wüst (Archiv) [dts]