Unmittelbar nach den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) vom Dienstag zur Migrationspolitik scheren die ersten Bundesländer aus. Bund und Länder hatten zur Beschleunigung von Asylverfahren vereinbart, dass die „Entgegennahme des Asylantrags und Anhörung in der Erstaufnahmeeinrichtung stattfinden“, wie es im Abschlusspapier heißt – also in den Einrichtungen der Länder.
Nun teilte das Integrationsministerium von Rheinland-Pfalz den Landräten und Oberbürgermeistern in einem Schreiben mit: „Darüber hinaus ist es nunmehr unumgänglich, Antragstellerinnen und Antragsteller teilweise auch vor der Anhörung beim Bamf in die Kommunen zu verteilen. Durch die hohen Zugangszahlen hat sich die Zeit bis zur Anhörung beim Bamf deutlich verlängert, sodass wir eine Unterbringung bis nach erfolgter Antragstellung nicht mehr in allen Fällen sicherstellen können.“ Die „Welt am Sonntag“ wird in ihrer Ausgabe aus dem Papier zitieren. Weiter heißt es dort, es lasse sich „angesichts der angespannten Gesamtlage nicht vermeiden, die wöchentlichen Verteilzahlen weiter zu erhöhen“.
Auch andere Bundesländer leiten Asylbewerber schon früh an die Kommunen weiter – zum Teil, bevor das Asylverfahren mit der Anhörung beim Bamf richtig beginnt. So teilt das zuständige Innenministerium in Niedersachsen auf Anfrage mit, dass es „aufgrund der hohen Auslastung“ der Einrichtungen derzeit möglich sei, „dass Personen vor ihrem Anhörungstermin verteilt werden“. Das Integrationsministerium in Nordrhein-Westfalen erklärt, dass man derzeit „von der bewährten und richtigen Praxis der Zuweisung erst nach erfolgter Anhörung in Teilen abweichen muss“. Ähnliches ist aus Sachsen-Anhalt zu hören.
Die Praxis steht nicht nur im Widerspruch zum MPK-Beschluss – sondern auch zu bereits existierenden gesetzlichen Regeln. „Dass Asylbewerber verstärkt an die Kommunen weitergereicht werden, ist nicht neu. Aber es hat eine völlig neue Dimension, wenn sich die Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Kanzler explizit darauf festlegt, dass die Menschen zumindest bis zum Abschluss des Verfahrens vor allem in den Ernstaufnahmezentren der Länder versorgt werden sollen, und kurz darauf mitgeteilt wird, dass es munter so weitergeht wie bisher und die Kommunen das Gros der Asylbewerber betreuen müssen“, sagte Reinhard Sager (CDU), Präsident des Deutschen Landkreistages, der „Welt am Sonntag“. „Das geht so nicht, dafür haben auch wir keine Kapazitäten mehr. Die Länder müssen das, was mit dem Kanzler vereinbart wurde, jetzt auch durchhalten. Sie müssen die notwendigen Erstaufnahmeplätze schaffen. Der Bund muss beim zuständigen Bundesamt für Migration dringend personell weiter aufrüsten.“
Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, kritisierte: „Wenn Bund und Ländern einen entsprechenden Beschluss zu den Asylverfahren treffen, muss es dafür einen Handlungsplan geben – und genau den gibt es nicht. Wir fordern seit Jahren mir Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder. Und wir werden noch mehr Kapazitäten brauchen, weil noch mehr Menschen zu uns kommen.“
Andreas Göbel, hauptgeschäftsführender Direktor des Landkreistages Rheinland-Pfalz, verteidigte das Vorgehen des Bundeslandes: „In der Ministerpräsidentenkonferenz wurde mit dem Beschluss, möglichst viele Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu betreuen, ein Ziel formuliert, das kurzfristig nicht umsetzbar ist. Der Druck ist einfach zu groß, es kommen zu viele Menschen. Die Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen reichen nicht aus. Obwohl das Land sich bemüht hat, mehr Platz zu schaffen. Für eine Entlastung wäre eine Begrenzung der Zuwandererzahlen nötig. Ob die Beschlüsse der MPK in dieser Richtung wirken, bezweifle ich.“
Foto: MPK am 06.11.2023 [dts]