Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst wirft der Berliner Ampel-Koalition vor, mit ihren internen Konflikten das Vertrauen der Bürger in Politik und Staat zu beschädigen. „Ein noch nie dagewesener Anteil der Deutschen stellt die Handlungsfähigkeit des Staates in Frage, weil ständig gestritten wird, ohne dass es zu Ergebnissen kommt“, sagte der CDU-Politiker der „Süddeutschen Zeitung“ (Dienstagausgabe).
„Die Menschen in Deutschland haben nichts gegen Kompromisse. Aber sie haben eine Aversion gegen Stillstand und Scheitern.“ Die Bundesregierung stehe „sinnbildlich für dieses Problem“. Der Ampel-Streit müsse aufhören. Wüst beklagte, dass die Bundesregierung trotz Absprachen mit den 16 Bundesländern bei Reformen wie Bürokratieabbau, Planungsbeschleunigung oder auch in der Migrations- und Asylpolitik seit Monaten kaum vorankomme. Zu bürokratische Verfahren und zu langsame Entscheidungen von Verwaltungen und Politik verringerten deren Akzeptanz. „Das kann zu Unmut und politischer Radikalisierung führen und sogar die Zustimmung zum demokratischen Rechtsstaat unterhöhlen“, sagte Wüst. Als Beispiel nannte das Präsidiumsmitglied der Bundes-CDU eine bessere Steuerung der Zuwanderung. Bereits im Mai hätten sich Bundeskanzler Olaf Scholz und die Bundesländer auf Eckpunkte etwa für schnellere Abschiebungen verständigt. Bisher, so Wüst, habe Innenministerin Nancy Faeser jedoch nur ein Diskussionspapier, aber keinen Gesetzentwurf vorgelegt. Der CDU-Politiker verlangte von Scholz, dies bei der am Dienstag in Meseberg beginnenden Kabinettsklausur voranzubringen. „Ich erwarte, dass der Kanzler auf der Klausurtagung umsetzt, was er mit den Ländern verabredet hat“, sagte Wüst. „Das muss endlich Chefsache werden.“ Der CDU-Politiker machte die Ampel-Koalition zudem für die gestiegenen Umfragewerte der AfD verantwortlich. Dies geschehe infolge des umstrittenen Heizungsgesetzes, „aber auch wegen der ungelösten Migrations-Probleme“, so Wüst. „Viele Menschen wurden verunsichert. Steigt der Frust, dann steigt die Zustimmung zur AfD.“ Die Union profitiere von dieser Stimmung weniger, da sie „keine Protestpartei, sondern eine im besten Sinne staatstragende Kraft“ sei. Der NRW-Regierungschef warf Scholz vor, ein Wahlkampf-Versprechen für einen verbilligten Strompreis für energieintensive Unternehmen gebrochen zu haben. Damals habe der SPD-Politiker noch vier Cent pro Kilowattstunde in Aussicht gestellt. „Ich war verblüfft, mit welcher Chuzpe er dieses Versprechen vor der versammelten nordrhein-westfälischen Industrie abgeräumt hat“, sagte Wüst. „Das war ein fatales Signal.“ Um die Abwanderung von Industrie und Arbeitsplätzen zu verhindern, sei ein Preis von vier bis fünf Cent notwendig. Spekulationen zu eigenen bundespolitischen Ambitionen und eine mögliche Kanzlerkandidatur wies der CDU-Politiker erneut zurück: „Ich habe keine Kandidaten-Debatte geführt. Friedrich Merz ist Parteivorsitzender.“ Die Führungsfrage in der Union sei geklärt. Auf Nachfrage ergänzte der Chef der NRW-CDU jedoch, die Personalie des nächsten Kanzlerkandidaten der Union „klären wir im Jahr vor der Bundestagswahl, wie vereinbart“.
Foto: Hendrik Wüst (Archiv) [dts]