Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnt vor einem Scheinfrieden in der Ukraine. „Wir wollen alle, dass dieser Krieg endet, aber damit ein Frieden dauerhaft sein kann, muss er gerecht sein“, sagte er der „Welt am Sonntag“.
Frieden könne nicht bedeuten, „den Konflikt einzufrieren und einen Deal zu akzeptieren, der von Russland diktiert wird“. „Nur die Ukraine allein kann die Bedingungen definieren, die akzeptabel sind“, fügte der frühere Ministerpräsident Norwegens hinzu. Der Nato-Chef verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass militärische Erfolge auf dem Kriegsschauplatz die Verhandlungsposition der Ukraine stärken würden: „Je mehr besetztes Territorium die Ukraine befreien kann, desto bessere Karten hat sie am Verhandlungstisch, um einen gerechten und dauerhaften Frieden zu erreichen.“ Hintergrund: Am Samstag führte eine Gruppe afrikanischer Staatschefs unter Leitung des südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa im Rahmen einer selbsterklärten Friedensmission Gespräche mit Kremlchef Wladimir Putin.
Die Delegation hatte zuvor in Kiew beide Seiten zur „Deeskalation“ aufgerufen. „Dieser Krieg muss beendet werden und es sollte Frieden durch Verhandlungen geben“, sagte Ramaphosa. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj lehnt Verhandlungen mit Russland zum jetzigen Zeitpunkt ab. Unmittelbar vor seinem Besuch in Berlin am Montag und Dienstag lobte der Nato-Chef die `Nationale Sicherheitsstrategie` Deutschlands, deren Ziel es ist, die Bundeswehr bei der Landes- und Bündnisverteidigung durch eine bessere Ausstattung und mehr Einsatzbereitschaft zu stärken: „Deutschlands erstmalige `Nationale Sicherheitsstrategie` ist ein wichtiges Dokument und ein Beweis für die Zeitenwende. Ich begrüße Deutschlands klares Bekenntnis, die Ziele der Nato bei den Verteidigungsausgaben und den Fähigkeiten zu erfüllen und eine der stärksten bewaffneten Streitkräfte in Europa aufzubauen.“
In einer „gefährlicheren und umkämpften Welt“ sei es lebenswichtig, in Verteidigung zu investieren, um die Sicherheit der Menschen zu bewahren, so Stoltenberg. „Beim Nato-Gipfel in Vilnius werden wir ein ambitionierteres Versprechen bei den Verteidigungsausgaben vereinbaren, das bei zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als das Minimum liegen wird. Die Führungskraft Deutschlands bleibt essenziell für Frieden und Sicherheit im euroatlantischen Raum.“
Die Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine machen laut Nato-Chef „einen echten Unterschied“ und helfen dem Land dabei, die Städte „von der brutalen russischen Besetzung“ zu befreien. Zur von Kiew geforderten Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato sagte Stoltenberg: „Die Zukunft der Ukraine liegt in der Nato, aber die Priorität ist jetzt, dass die Ukraine sich durchsetzt als souveräner und unabhängiger Staat – andernfalls besteht keine Möglichkeit, über eine Mitgliedschaft zu diskutieren.“ Er fügte hinzu: „Wir müssen sicherstellen, dass es, wenn dieser Krieg endet, glaubwürdige Vereinbarungen für die Sicherheit der Ukraine gibt, sodass Russland sich nicht wiederbewaffnen und erneut attackieren kann und der Zyklus der russischen Aggression durchbrochen wird.“ Stoltenberg kündigte an, dass die Allianz beim Gipfeltreffen in Vilnius im Juli ein mehrjähriges Hilfspaket verabschieden werde, das die Ukraine an Nato-Standards heranführen soll.
Außerdem sollen die politischen Verbindungen intensiviert werden. „Das wird die Ukraine näher an die Nato bringen“, so Stoltenberg.
Foto: Jens Stoltenberg [dts]