Zwischen Bund und Ländern ist ein offener Streit über das Konzept und die Finanzierung des sogenannten „Startchancenprogramms“ für 4.000 „Brennpunktschulen“ ausgebrochen. Die Kultusminister der Länder haben verärgert auf die unabgesprochene Veröffentlichung eines entsprechendes Eckpunktepapiers durch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) reagiert.
„Mit seinem einseitigen Vorpreschen verhält sich der Bund wie der Elefant im Porzellanladen“, sagte Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) der „Welt“ (Freitagausgabe). „Es kann nicht sein, dass die Länder aus der Zeitung erfahren müssen, wie der Bund sich das Konzept zum Startchancenprogramm vorstellt. Ich rufe den Bund zur Besinnung und zur Rückkehr auf den konstruktiven, gemeinsamen Verhandlungsweg auf.“ Zentrale Streitpunkte sind zum einen die Verteilung der Mittel an die Länder und zum anderen die vom Bund geforderte Co-Finanzierung. Nach dem Eckpunktepapier des Bundesbildungsministeriums sollen die Länder die Zuwendungen des Bundes in Höhe von bis zu einer Milliarde Euro im Jahr in gleicher Höhe mitfinanzieren. Bereits bestehende Programme der Länder wie die „Talentschulen“ in NRW oder die „Perspektivschulen“ in Schleswig-Holstein sollen dabei nicht als Eigenleistung angerechnet werden dürfen. Eine Co-Finanzierung von 50 Prozent durch die Länder komme „unter keinen Umständen in Betracht“, sagte Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) der „Welt“. „Die Länder finanzieren schon jetzt 90 Prozent der Bildung. Es kann nicht sein, dass wir unsere eigenen Programme im Zuge des Startchancen-Programms zurechtkürzen müssen. Das ist, als würden wir einen gut laufenden Motor auseinandernehmen, um dann aus den Teilen etwas zusammenzuschrauben, von dem wir jetzt schon wissen, dass es stottert, rattert und nicht funktioniert.“ Der Bund habe „keine Fachkompetenz in Sachen Bildung, das zeigt sich in vielen Details des Vorschlages, den die Presse bekam, noch bevor die Länder ihn kannten“, so Prien. „Den Vorschlag von Frau Stark-Watzinger kann man aktuell nur so zusammenfassen: zu spät, zu wenig und zu bürokratisch.“ Ein Knackpunkt ist die Verteilung der Mittel an die Länder. Stark-Watzinger schwebt eine Verteilung nach Sozialindizes vor: Zu 40 Prozent soll der Anteil der Schüler zugrunde gelegt werden, die zu Hause nicht Deutsch sprechen, zu 40 Prozent die Armutsgefährdungsquote und zu 20 Prozent das negative Bruttoinlandsprodukt. So solle erreicht werden, dass mehr Geld bei tatsächlich sozial benachteiligten Schülern ankomme. Die Länder schlagen hingegen einen anderen Mechanismus vor.
Demnach sollen 95 Prozent über den Königsteiner Schlüssel verteilt werden und fünf Prozent in einen „Solidarfonds“ fließen. Kritik an Stark-Watzingers Konzept kommt auch aus Sachsen. Migrationshintergrund und Sozialhilfebezug seien nur zwei von vielen Kriterien, an denen sich erschwerte Ausgangslagen festmachen ließen, sagte eine Sprecherin des Landesbildungsministeriums. „Soziale Benachteiligung in den ostdeutschen Ländern ist auch bedingt durch demografische Faktoren und Strukturwandel, belastend sind zudem Nachwirkungen von Transformationsprozessen.“
Die ostdeutschen Länder mit ihren spezifischen Problemlagen insbesondere in den ländlichen Regionen dürften deshalb bei der Verteilung „nicht systematisch hinten runterfallen“. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) will schnell mit Stark-Watzinger das Gespräch suchen. „Meine Aufgabe ist es jetzt, die Scherben wieder einzusammeln und das Vertrauensverhältnis wieder zu kitten“, sagte sie. „Das übergeordnete Ziel ist es, das Startchancenprogramm 2024 zum Laufen zu bringen.“
Foto: Räume für Deutsch-Unterricht [dts]