Der neue geschäftsführende Direktor des Euro-Rettungsschirms ESM, Pierre Gramegna, rechnet trotz steigender Zinsen, Rezession und hoher Staatsverschuldung in einigen Euro-Ländern auf absehbare Zeit nicht mit einer neuen Schuldenkrise in der Eurozone. „Wir stehen nicht vor einer neuen Schuldenkrise“, sagte Gramegna der „Welt“ (Mittwochsausgabe).
„Wer heute schon die nächste Schuldenkrise ankündigt, irrt. Zum einen ist das Bruttoinlandsprodukt in den meisten Euro-Ländern nach dem Ende der Pandemie stark gewachsen und das hilft jetzt“, so Gramegna. Außerdem werde das Geld aus dem EU-Wiederaufbauprogramm in den kommenden vier Jahren weiter fließen und die nationalen Volkswirtschaften stützen. „Und die hohe Inflation, die uns anderswo Sorgen bereitet, lässt die Schuldenlast automatisch sinken. Ich will nicht als Luftikus dastehen, der die Risiken unterschätzt. Aber aus meiner Sicht überwiegen kurzfristig die positiven Faktoren“, sagte Gramegna.
Er hat die Leitung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM am 1. Dezember übernommen. Der luxemburgische Politiker hält insbesondere die steigenden Zinsen für ein beherrschbares Problem.
„Für die Schulden, die Staaten in den vergangenen Jahren aufgenommen haben, zahlen sie sehr niedrige Zinsen, die nur langsam steigen“, sagte Gramegna. „Schauen Sie sich Italien an. Dort ist die Zinslast heute wesentlich niedriger als vor zehn Jahren. Um Italien müssen wir uns im Augenblick keine Sorgen machen. Das ist das eine. Das andere ist, dass wir die Instrumente haben, die wir brauchen, falls es nötig werden sollte.“
Gramegna appellierte an Italien, den Vertrag zur Reform des Euro-Schutzschirms ESM zu ratifizieren. Das Unterhaus des italienischen Parlaments blockiert derzeit die Ratifizierung.
„Italien muss seinen Teil tun, um Europa auf die nächste Finanzkrise vorzubereiten“, sagte Gramegna. „Aber ich gehe davon aus, dass Italien, das die Reform mitverhandelt hat, seine Verpflichtung erfüllt und sie auch ratifiziert.“ Es gebe in Italien Erklärungsbedarf, auch weil die ESM-Reform dort stark polemisiert werde. „Ich stehe auf jeden Fall gerne zur Verfügung über die Reform zu sprechen“, so Gramegna.
Die Reform würde dem ESM unter anderem eine stärkere Rolle bei künftigen Bankenrettungen geben. Deutschland hat die Reform gerade ratifiziert, nachdem das Bundesverfassungsgericht jüngst geurteilt hatte, dass die Reform mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Foto: Fahnen von Griechenland und EU [dts]