Lehrer sehen Personalmangel dramatischer als offiziell gemeldet

Lehrer- und Erzieherverbände werfen der Politik vor, den Personalmangel im Bildungsbereich zu untertreiben und zu ignorieren, und sehen neben Corona-Pandemie und dem Zuzug von ukrainischen Flüchtlingen vor allem die Fehlplanung der Länder als Ursache. „Die offiziellen Zahlen der Schulministerien über unbesetzte Stellen sind entweder ungenau und diffus oder deutlich untertrieben“, sagte Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.

„Wir schätzen, dass real vor Ort mehr als 30.000, vielleicht sogar 40.000 Lehrerstellen zu Schuljahresanfang nicht besetzt werden konnten. Das sind im Durchschnitt vier Prozent aller Planstellen“, so der Gewerkschaftsvorsitzende. Besonders dramatisch sei die Lage in den östlichen Bundesländern. Meidinger warnte, dass die Quote wegen Schwangerschaften, Krankheitsausfällen und vorzeitigen Pensionierungen bundesweit schnell auf das Doppelte und Dreifache anwachsen könne.

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) sieht den Personalmangel auf einem neuen Höchststand: „So schlimm war es noch nie“, sagte der VBE- Bundesvorsitzende Udo Beckmann dem RND. „Bereits nach wenigen Wochen im neuen Schuljahr sind Lehrkräfte und Schulleitungen am Limit und teilweise weit darüber hinaus.“ Für das Jahr 2022 prognostizierte die Kultusministerkonferenz, dass 1.940 weniger Absolventen für das Lehramt an Grundschulen zur Verfügung stehen als benötigt. Für 2027 rechnet die Kultusministerkonferenz mit einem Negativwert von 2.850. Beckmann warf der Politik vor, die Augen vor dem Problem verschlossen zu haben. Die jetzige Situation habe sich bereits seit langem abgezeichnet, sagte der VBE-Chef.

„Die Politik hat sich die Situation seit Jahren schlichtweg schöngerechnet und den wahren Bedarf verschleiert“, sagte Beckmann. Man habe den das Berufsethos der Lehrkräfte schamlos ausgenutzt und auf dem Rücken der Lehrkräfte unterlassen, eine vorausschauende Personalpolitik zu betreiben. „Das rächt sich jetzt in vollem Umfang.“ Zudem sorge die anhaltende Pandemie und der damit verbundene Krankenstand weiter für Ausfälle, so Beckmann.

Auch Meidinger sieht die Fehler in der Politik: Die Landesregierungen hätten nicht auf den Geburtenanstieg reagiert und spätestens 2014 intensiv bei Abiturienten für den Lehrerberuf werben müssen. Fatal wirke sich auch der massive Abbau von Lehramtsstudienplätzen in fast allen Bundesländern aus – insbesondere beim Grundschullehramt. Ein Faktor ist in diesem Jahr auch der russische Angriffskrieg: 180.000 ukrainischen Flüchtlingskinder sind laut Meidinger als Schüler hinzugekommen. Die Pandemie und die geflüchteten Kinder und Jugendlichen hätten den Mangel verschärft, seien aber nicht Ursache des Problems, betonte Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Foto: Klassenraum in einer Schule (dts)

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