Der Großteil der Bundesbürger gerät wegen der hohen Inflation zunehmend an seine finanziellen Grenzen. „Wir rechnen damit, dass wegen der deutlichen Preissteigerung perspektivisch bis zu 60 Prozent der deutschen Haushalte ihre gesamten verfügbaren Einkünfte – oder mehr – monatlich für die reine Lebenshaltung werden einsetzen müssen“, sagte Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis der „Welt am Sonntag“.
„Dieser Teil der Bevölkerung ist dann schlicht nicht mehr sparfähig.“ Bei 40 Millionen Haushalten bundesweit wären davon also 24 Millionen Haushalte betroffen. Vor einem Jahr waren laut Sparkassen-Vermögensbarometer lediglich 15 Prozent nicht in der Lage, Geld zurückzulegen. Die Sparkassen-Gruppe selbst hat 50 Millionen Kunden.
Auch bei den Volks- und Raiffeisenbanken beobachtet man einen schrumpfenden finanziellen Spielraum der Kunden. „Die hohe Inflation entzieht den Verbrauchern Kaufkraft, dadurch sinkt die Sparfähigkeit“, sagte Andreas Martin, Vorstand des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), der „Welt am Sonntag“. Noch profitierten viele Kunden davon, dass sie die zusätzlichen Ersparnisse, die sich während der Corona-Zeit mangels Konsummöglichkeiten ansammelten, nun wieder auflösen könnten. „Der Spitzenwert der Sparquote lag bei rund 16 Prozent im Jahr 2020, für 2022 erwarten wir eine Rückkehr auf das Vorkrisenniveau von elf Prozent“, sagte Martin.
Wobei die 772 Volks- und Raiffeisenbanken bei ihren 30 Millionen Kunden auch einen gegenteiligen Effekt sehen: „Wer kann, spart wegen der Unsicherheit rund um den Ukrainekrieg tendenziell wieder mehr“, sagte Martin. Dies zeige sich an der Entwicklung der Kundeneinlagen im ersten Halbjahr. Genossenschaftsbanken verzeichneten bis Ende Juni eine Steigerung der Kundeneinlagen um 27 Milliarden Euro oder 3,3 Prozent auf 838 Milliarden Euro gegenüber Juni 2021. Bei den Sparkassen rechnet man insbesondere im Herbst und Winter mit einer deutlichen Verschärfung der Situation, gerade bei Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen.
Die angespannte Lage zeigt sich laut Deutschem Sparkassen- und Giroverband (DSGV), dem Spitzenverband der 363 Sparkassen, bereits bei der Überziehung des Girokontos. Wer den sogenannten Dispositionskredit nutze, um kurzfristige Engpässe zu überbrücken, der schöpfe den Rahmen im Durchschnitt inzwischen „deutlich weiter aus“, teilte der Verband mit. Diese Entwicklung habe erkennbar im März 2022 begonnen, kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine und den damit verbundenen Preissprüngen. Die Grünen fordern, die Höhe der erlaubten Dispozinsen zu begrenzen, die im Durchschnitt aktuell bei knapp zehn Prozent liegen.
„Grundsätzlich halten wir Grüne es für notwendig, Dispozinsen gesetzlich zu deckeln“, sagte der Grünen-Finanzpolitiker Stefan Schmidt der „Welt am Sonntag“. Der Zinsdeckel solle die Menschen vor ausufernden Kosten schützen. Das Bundesfinanzministerium könne eine Zinshöhe ermitteln, die über einem Referenzzinssatz liege. „Ich kann mir vorstellen, dass ein Zinssatz von sechs bis sieben Prozentpunkten über dem Referenzzinssatz diese Kriterien erfüllt und sachgerecht wäre“, sagte Schmidt.
Foto: Berliner Sparkasse (dts)