„Reichsbürger“ arbeitete jahrelang als Gutachter an Gerichten

Ein bekannter Aktivist der „Reichsbürger“-Szene hat jahrelang als Sachverständiger für bundesdeutsche Gerichte gearbeitet. Wie das Nachrichten-Magazin „Der Spiegel“ in seiner neuesten Ausgabe berichtet, erstellte der aus Leipzig stammende Psychiater in Hunderten von Verfahren Gutachten.

In Hamburg etwa war der Mann nach Angaben des Oberlandesgerichts seit 2018 in mehr als 200 Fällen tätig und erhielt dafür Honorare in Höhe von insgesamt rund 100.000 Euro. Er wurde oftmals in sogenannten Betreuungsverfahren eingesetzt, bei denen etwa entschieden wird, ob psychisch kranke oder demente Menschen einen rechtlichen Betreuer zur Seite gestellt bekommen. Seine Rolle als führende Figur der „Reichsbürger“-Szene sei erst nach Jahren aufgefallen, als „reichsbürgertypische Formulierungen“ wie „Besatzerverwaltung Bundesrepublik“ in seinen Schriftsätzen auftauchten, heißt es aus Justizkreisen. Inzwischen sei die Zusammenarbeit beendet worden.

Auch für das Amtsgericht im hessischen Offenbach war der Mann viele Jahre im Einsatz, wie ein Behördensprecher dem „Spiegel“ bestätigte. Misstrauisch sei man erst im Oktober 2020 geworden, als das Gericht auf ein verschwörungsideologisches Buch des Mannes hingewiesen wurde, in dem die Beseitigung des „BRD-Systems“ propagiert wird. Beim Amtsgericht Frankfurt am Main, wo er nach Behördenangaben in insgesamt 615 Verfahren als Sachverständiger tätig war, seien die extremistischen Umtriebe des Psychiaters bislang nicht bekannt gewesen. Die Richter des Betreuungsgerichts würden nunmehr „entsprechend sensibilisiert“, teilte ein Sprecher dem „Spiegel“ mit.

Nachdem der Hamburger Verfassungsschutz vor wenigen Monaten mitbekommen hatte, dass der Mann in der Hansestadt als Gerichtsgutachter tätig war, schlugen die Sicherheitsbehörden Alarm. Deutschlandweit wurden Justizbehörden vorsorglich auf den „Reichsbürger“ hingewiesen: Wegen seiner vielen Anschriften im Bundesgebiet könne der Psychiater auch andernorts als Gutachter tätig gewesen sein oder dies versuchen. Laut „Spiegel“-Bericht warnte der baden-württembergische Verfassungsschutz die Landesverwaltung im Juli vor dem Mann. Bei ihm handle es sich um einen „szenebekannten Reichsbürger“, der versuche, „durch eine pseudostaatsrechtliche Analyse die Bundesrepublik Deutschland zu delegitimieren“.

Das Schreiben ging wenig später an die Präsidenten der Gerichte im Südwesten. Gegenüber dem „Spiegel“ bestätigte der Mann, für Gerichte in mehreren Bundesländern Gutachten erstellt zu haben. Einen Widerspruch zu seinen „Reichsbürger“-Überzeugungen sah er nicht. Schriftliche Fragen ließ er unbeantwortet.

Foto: Amtsgericht (dts)

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