Nach vier Jahren Rückgang ist die Zahl der Inobhutnahmen in Deutschland erstmals wieder angestiegen. Im Jahr 2021 haben die Jugendämter rund 47.500 Kinder und Jugendliche zu ihrem Schutz vorübergehend in Obhut genommen, teilte das Statistische Bundesamt (Destatis) am Mittwoch mit.
Das waren das knapp 2.100 Fälle oder 5 Prozent mehr als im Vorjahr. Besonders stark fiel die Zunahme mit über 3.700 Fällen oder 49 Prozent bei Inobhutnahmen nach unbegleiteten Einreisen aus dem Ausland aus. Zurückgegangen sind dagegen auch im zweiten Corona-Jahr 2021 die Inobhutnahmen aufgrund dringender Kindeswohlgefährdungen: Hier registrierten die Behörden rund 1.800 Fälle oder 6 Prozent weniger als 2020. Etwas mehr Kinder und Jugendliche als im Vorjahr haben sich mit der Bitte um Inobhutnahme selbst an ein Jugendamt gewandt (+170 Fälle oder +2 Prozent), nachdem die Zahl der Selbstmeldungen 2020 deutlich zurückgegangen war (-800 Fälle oder -10 Prozent gegenüber 2019).
Damit wurden 2021 insgesamt rund 28.500 Inobhutnahmen (60 Prozent) wegen dringender Kindeswohlgefährdungen, knapp 11.300 nach unbegleiteten Einreisen (24 Prozent) und gut 7.700 (16 Prozent) aufgrund von Selbstmeldungen durchgeführt. Bei der Interpretation der Ergebnisse seien aber auch die coronabedingten Schutzmaßnahmen zu berücksichtigen, so das Bundesamt: So lasse sich anhand der Daten nicht ausschließen, dass der erneute Rückgang der Inobhutnahmen aufgrund von dringenden Kindeswohlgefährdungen 2021 auch mit den allgemeinen Kontaktbeschränkungen in Zusammenhang stehe. Einschränkungen im Schul- oder Kitabetrieb könnten zum Beispiel dazu beigetragen haben, dass ein Teil der Kinderschutzfälle unentdeckt geblieben und das Dunkelfeld dadurch gewachsen ist. Die amtliche Statistik erfasst nur jene Fälle, die den Behörden bekannt gemacht wurden.
Im Kindesalter standen im Jahr 2021 andere Gründe für eine Inobhutnahme im Vordergrund als im Jugendalter, so das Bundesamt weiter: Knapp 20.200 (42 Prozent) aller in Obhut genommenen Jungen und Mädchen waren 2021 unter 14 Jahre alt, also noch im Kindesalter. In gut der Hälfte dieser Fälle war der Anlass der Inobhutnahme die Überforderung der Eltern (53 Prozent). Eine besondere Bedeutung kam bei den Kindern auch dem Schutz vor Vernachlässigung (26 Prozent) und vor körperlichen (18 Prozent) sowie psychischen Misshandlungen (12 Prozent) zu. Etwas anders war das Bild bei den knapp 27.400 Jugendlichen von 14 bis unter 18 Jahren: Hier wurden die Inobhutnahmen am häufigsten nach unbegleiteten Einreisen aus dem Ausland eingeleitet (38 Prozent).
Eine wichtige Rolle spielten auch Überforderungen der Eltern (24 Prozent) und allgemeine Beziehungsprobleme (12 Prozent). Jedes achte Kind (12 Prozent) und fast jeder dritte Jugendliche (31 Prozent) war vor der Inobhutnahme von Zuhause ausgerissen. Jungen wurden 2021 mit 56 Prozent zwar etwas häufiger in Obhut genommen als Mädchen, das sei aber ausschließlich auf den hohen Jungenanteil an den unbegleitet eingereisten Minderjährigen zurückzuführen. Ohne deren Berücksichtigung lag der Jungenanteil an allen Inobhutnahmen 2021 mit 46 Prozent sogar knapp unter dem der Mädchen.
Die meisten Minderjährigen wurden vor der Inobhutnahme von beiden Eltern gemeinsam (25 Prozent), einem alleinerziehenden Elternteil (22 Prozent) oder durch ein Heim betreut (13 Prozent). Gut jeder zweite Fall konnte nach spätestens zwei Wochen beendet werden (53 Prozent) und sogar etwa jeder dritte innerhalb von fünf Tagen (34 Prozent). Jede achte Inobhutnahme dauerte mit drei Monaten oder mehr jedoch vergleichsweise lang (12 Prozent). Der Großteil der betroffenen Kinder und Jugendlichen war während der Inobhutnahme in einer geeigneten Einrichtung, zum Beispiel einem Heim, untergebracht (80 Prozent).
Danach kehrte über ein Drittel der Jungen und Mädchen an den bisherigen Lebensmittelpunkt -zu den Sorgeberechtigten, in die Pflegefamilie oder das Heim -zurück (35 Prozent). Knapp ein weiteres Drittel der Kinder und Jugendlichen bekam dagegen ein neues Zuhause in einer Pflegefamilie, einem Heim oder einer betreuten Wohnform (31 Prozent), so die Statistiker.
Foto: Kinder hinter einem Gitter (dts)