Berlin – Um die Zuverlässigkeit des Schienennetzes der Deutschen Bahn ist es offenbar schlechter bestellt als bekannt. Das legen bahninterne Streckendaten für Lokführer nahe, über die der „Spiegel“ berichtet.
Der „Spiegel“ hat die tagesaktuellen Fahrvorschriften auf dem Streckennetz der Deutschen Bahn vom 3. Juni bundesweit analysiert. Demnach bremsten an diesem Tag 331 Langsamfahrstellen den Bahnverkehr in Deutschland aus. Mehr als 60 Langsamfahrstellen waren auf Mängel zurückzuführen, etwa auf schadhafte Brücken, defekte Signale und Bahnübergänge oder auf Schäden am Gleis. 123 Bummelstrecken lagen an Baustellen, bei 71 nennt die Bahn in den Unterlagen als Begründung „sonstiger Grund“.
Von den 331 Langsamfahrstellen bestehen 225 seit mehr als einem Monat, davon einige seit mehr als fünf Jahren. Entgegen der Ankündigung der Bahn, vor Einführung des 9-Euro-Tickets Langsamfahrstellen zu beseitigen, sind Langsamfahrstellen dazugekommen. Die Auswertung legt ebenfalls offen, dass die Bahn nach dem Eisenbahnunglück von Garmisch-Partenkirchen weitere Langsamfahrstellen aufgrund von Mängeln an den Schienen angeordnet hat. Nach dem Unglück tauchen im Verzeichnis der Langsamfahrstellen „für die Region Süd“ plötzlich mehr als 50 neue Streckenabschnitte auf, Begründung: „Oberbaumangel“.
Die Zahl der Langsamfahrstellen liege weit höher als jene, die das Unternehmen der Bundesregierung kommuniziere, berichtet der „Spiegel“ weiter. Auf eine Anfrage der Grünenfraktion im Bundestag zur Zahl der Langsamfahrstellen antwortete das Verkehrsministerium unter Berufung auf Daten der DB Netz AG: „Im Vergleich von 2016 zu 2021 ist die Anzahl der Langsamfahrstellen annähernd gleich geblieben (2016: 485; 2021: 476). Aktuell (April 2022) gibt es 189 Langsamfahrstellen (+14 Stück aus der Hochwasserkatastrophe/Auswirkungen aus den Sturmschäden).“ Die Deutsche Bahn erklärt diese Abweichung der Zahlen damit, dass sie nicht vergleichbar seien.
Die Bahn melde dem Bund „ausschließlich die mängelbedingten Langsamfahrstellen, die aufgrund von Modernisierung und Instandhaltung der Infrastruktur erforderlich sind“. Christian Böttger, Bahnexperte und Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, kritisiert diese Praxis. Das Problem, dass die Bahn dem Bund nur einen Teil der Probleme melden muss, sei im Verkehrsausschuss des Bundestages schon 2008 und 2014 breit thematisiert worden, sagt Böttger. „Verkehrsausschuss und Ministerium haben diese Warnungen ignoriert. Deshalb sind die DB-Berichte zur Infrastrukturqualität seit Jahren recht positiv, obwohl sich der Zustand der Infrastruktur verschlechtert“, sagte der Experte.
Foto: Lok auf Gleisanlage (dts)