Russland benutzt immer mehr deutsche Lastwagen, um seine Truppen in der Ukraine mit Munition und Nachschub zu versorgen. Dabei kommen besonders oft Mercedes-Lkw des deutschen Konzerns Daimler Truck und seiner Partner zum Einsatz, in geringerem Maße auch Laster der Volkswagen-Töchter MAN und Scania, schreibt die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (FAS) an diesem Wochenende.
Weil die EU ihren Export nach Russland verboten hat, erreichen sie das Land meist indirekt über Joint-Venture-Partner und Zwischenhändler. Sehr oft geht der Weg über chinesische Mittler. Auch Laster anderer europäischer Hersteller werden von Russland importiert.
Daimler Truck sowie die Volkswagen-Töchter MAN und Scania teilten mit, sofern ihre Lastwagen Russland erreichten, seien sie dafür nicht verantwortlich, weil die Lkw vermutlich „aus dritter oder vierter Hand“ oder „über nicht autorisierte Zwischenhändler“ kämen.
Eine Recherche des norwegischen Beratungsunternehmens Corisk hat jetzt gezeigt, dass Russland seine Einfuhr von sanktionierten Lastwagen seit 2021, dem letzten Jahr vor dem Großangriff auf die Ukraine, auf das Sechsfache gesteigert hat: von 0,8 Milliarden Euro auf 5,7 Milliarden im Jahr 2023. Die Studie wurde vom norwegischen Helsinki-Komitee finanziert.
Eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schrieb der FAS, die Corisk-Studie komme „zu ähnlichen Ergebnissen wie andere vergleichbare Untersuchungen“. Corisk hat für seine Rechnungen die öffentlich verfügbaren Zolldaten Russlands und anderer Staaten sowie das Lastwagen-Angebot auf russischen Online-Plattformen ausgewertet. Danach sind Lastwagen nach Elektronikteilen die zweitgrößte Gruppe von sanktionswidrig von Russland importierten Gütern. Mit Abstand die meisten der Lkw, die Russland von Herstellern mit europäischer Beteiligung importiert, stammen vom Weltmarktführer Daimler Truck und dessen chinesischen Partnern.
Das Geschäft wächst. So stiegen Russlands Einfuhren aus der europäischen Produktion von Daimler Truck zwischen 2021 und 2023 von 17 auf 90 Millionen Euro, also auf das Fünffache. Rechnet man die Lkw des Joint-Venture-Partners Beijing-Foton-Daimler hinzu, sind die Zahlen sogar auf das Elffache gestiegen. Nummer zwei bei den Lkw aus Europa sind die Fahrzeuge des deutschen Herstellers MAN und der schwedischen Scania, die dem Volkswagen-Konzern gehören. Russlands Importe dieser Lastwagen sind zwar seit der Invasion stark gesunken. 2023 lagen sie aber immer noch bei 127 Millionen Euro.
Die Importlaster kommen dabei oft auf verschlungenen Wegen nach Russland. Meist sind ganze Ketten von Zwischenhändlern eingeschaltet. Die Hersteller wissen dabei möglicherweise nichts vom Verbleib ihrer Lastwagen. Zumindest sind sie nach geltendem Recht nicht verpflichtet, die Wege ihrer Lastwagen bis zum Ende zu verfolgen. Es gibt Hinweise, dass Russland die importierten Fahrzeuge für den Krieg in der Ukraine nutzt. Mehrere Satellitenbilder zeigen zum Beispiel zivile Schwerlaster am Munitionsdepot von Tichorezk an der ukrainischen Grenze.
Der Sanktionsbeauftragte des ukrainischen Präsidenten, Wladyslaw Wlasjuk, sagte der FAS, Russland nutze importierte Lastwagen „um Nachschub und Munition zur Front zu bringen“. Die Bundesregierung und vor allem das Kanzleramt zögern allerdings, Russlands Lkw-Importe schwerer zu machen. Im Sommer hat das Kanzleramt gebremst, als in der EU erwogen wurde, die „No-Russia-Klausel“ des Sanktionsregimes gegen Russland auch auf Tochterunternehmen europäischer Hersteller in Drittstaaten auszuweiten – zum Missfallen der grünen Außenministerin Annalena Baerbock. Das wurde der FAS bestätigt.
In der Ukraine erntet die Bundesregierung für ihre Verzögerungstaktik Kritik. Wlasjuk richtet an Berlin die „höfliche Bitte“, die bisherige Haltung zu überdenken. „Ich verstehe, warum Deutschland auf der Bremse stand“, sagt er, aber es gebe „gelinde Zweifel“ an der Vernunft dieser Haltung. „Es wäre extrem hilfreich, die No-Russia-Klausel auch auf Tochterunternehmen und Joint-Ventures auszuweiten.“
Habecks Wirtschaftsministerium schrieb dazu, der Druck müsse „aufrechterhalten beziehungsweise verstärkt werden, um der russischen Kriegsmaschinerie bestmöglich Einhalt zu gebieten“.
Johann Wadephul, der führende Außenpolitiker der Unionsfraktion im Bundestag, erwartet von der Bundesregierung, dass sie die Sanktionspolitik gegen Russland „so konsequent wie irgend möglich umsetzt“. Dazu gehöre, dass der deutsche Zoll in die Lage versetzt werde, Verstöße gegen das Sanktionsregime aufzudecken. „Wir dürfen diese Auseinandersetzung mit einem autokratischen Regime wie Russland nicht verlieren“, sagte Wadephul. „Dazu braucht es Härte und Konsequenz, die wir hier vermissen.“
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen Agnieszka Brugger forderte, Sanktionsumgehungen müssten „endlich effektiv unterbunden und Verstöße geahndet“ werden. „Statt dieser verheerenden Bremserei aus dem Kanzleramt braucht es einen Kurs der Konsequenz und Stärke.“
Ein Sprecher von Daimler Truck teilte der FAS mit, seine Firma unternehme „umfassende Maßnahmen, um Lieferungen von Mercedes-Benz Trucks nach Russland auszuschließen“. Daimler Truck habe seine Geschäfte mit Russland „komplett eingestellt“ und wenige Tage nach der Großinvasion von 2022 das Lkw-Werk in Russland geschlossen, das der Konzern zusammen mit dem russischen Hersteller Kamas betrieben hatte. Heute gebe es weder aus dem chinesischen Joint Venture noch aus anderen Daimler-Truck-Unternehmen Exporte nach Russland. Beijing-Foton-Daimler produziere „für den chinesischen Markt“. Der Sprecher fügte hinzu, Daimler Truck stehe „zu hundert Prozent“ hinter der Entscheidung von 2022, nach Russland „keinerlei Geschäftsbeziehungen zu haben oder zu unterstützen“. Falls es trotzdem noch Lieferungen gebe, gingen die „vermutlich über nicht von uns autorisierte Zwischenhändler“. Wenn man solche Fälle entdecke, werde das „sofort“ unterbunden.
Auch Scania und MAN reagierten auf die Zahlen von Corisk. Ein Sprecher von Scania schrieb, man habe 2022 alle Lieferungen nach Russland beendet und auch Geschäftspartner darüber informiert, dass gelieferte Ware nicht dorthin weitergegeben werden dürfe. Damit habe man im Verhältnis zu allen Geschäftspartnern die „No-Russia-Klausel“ der EU berücksichtigt und geltende Regeln befolgt. „Trotz all unserer Bemühungen kann das Unternehmen aber nicht kontrollieren, wie seine Produkte in ihrem gesamten Gebrauchszyklus von Dritten weiterverwendet werden, mit denen Scania nicht in Verbindung steht.“
MAN teilte mit, man beachte die Sanktionen der EU „vollumfänglich“. Schon vier Tage nach Russlands Großüberfall habe man beschlossen, „alle Exporte von Fahrzeugen nach Russland“ zu stoppen. MAN verpflichte seine Kunden vertraglich, Ausfuhren seiner Fahrzeuge und Ersatzteile nach Russland zu unterlassen. Leider lasse sich aber „trotz intensivster Bemühungen nicht gänzlich verhindern“, dass MAN-Fahrzeuge „über Umwege (etwa Fahrzeuge aus dritter oder vierter Hand)“ auf den russischen Markt gelangten. Wo man das beobachte, „erhält der betreffende Kunde zukünftig keinerlei Fahrzeuge oder Fahrzeugteile mehr“.
Aage Borchgervink vom norwegischen Helsinki-Komitee hält diese Bemühungen für unzureichend. Der FAS sagte er, wenn bei Corisk ein einzelner Fachmann in der Lage sei, in frei zugänglichen Quellen die Umgehung von Sanktionen zu erkennen, sei es schon erstaunlich, dass große Konzerne das nicht schafften. „Das lässt mich zweifeln, ob sie wirklich verstehen, was auf dem Spiel steht.“
Foto: Lkw (Archiv) [dts]