Transatlantik-Koordinator sieht in Bidens Rückzug „tiefe Zäsur“

Der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Michael Georg Link, sieht den Rückzug des US-Präsidenten Joe Biden von seiner erneuten Kandidatur für das Amt als „tiefe Zäsur“ für Deutschland und Europa.

„Er ist nicht nur ein besonders enger Partner gewesen, was er auch bis zum Ende seiner Amtszeit bleiben wird“, sagte der FDP-Politiker dem „Tagesspiegel“. Sondern es habe wahrscheinlich noch nie einen US-Präsidenten gegeben, der aus eigener Verbundenheit heraus die EU-Institutionen und den „alten“ Kontinent insgesamt so ernst genommen habe.

In Bezug auf die Vorbereitung der Bundesregierung auf die kommende US-Wahl „ändert Bidens Rückzug erst einmal nichts“, so Link weiter, da man sich „seit vielen Monaten intensiv auf beide Szenarien“ vorbereite. „Unabhängig davon, wen die Demokraten jetzt als Kandidaten nominieren und unabhängig davon, wer die Wahl am 5. November gewinnt“, so kündigte Link am Sonntagabend an, „werden wir als Deutschland mit beiden politischen Lagern weiter eng zusammenarbeiten“.

Insbesondere für den Fall eines Wahlsieges des Republikaners Donald Trump gelte, dass jetzt europäische Geschlossenheit hergestellt werden müsse „bei einem Gegenüber, der selbst seine Verbündeten zu spalten versucht“, so der Regierungsbeauftragte für die USA: „Wir brauchen jetzt den Mut aller Akteure in der EU, eigene Differenzen zurückzustellen – sonst spielt man Trump in die Hände.“ Eine mögliche Wahlsiegerin Kamala Harris, der bisherigen Vizepräsidentin, würde nach Ansicht Links „eng mit der Nato, der EU und Deutschland verbunden“ sein, aber sicherlich „ihre eigenen Akzente setzen“.

Die Leiterin der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, Laura von Daniels, glaubt unterdessen, dass nach dem Verzicht von Biden auf eine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt noch Chancen bestehen, Donald Trump zu schlagen. „Das ist ein gutes Zeichen“, sagte sie dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ zu Bidens Rückzug. „Joe Biden hat der Demokratischen Partei den Weg geebnet, um erneut Chancen im Präsidentschaftswahlkampf zu gewinnen.“ Der Verzicht komme „gerade noch rechtzeitig, wenn sich die Demokraten jetzt schnell auf ein neues Führungsduo einigen“.

Von Daniels fügte hinzu, Kamala Harris als Präsidentschaftskandidatin und die Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, als Vizepräsidentschaftskandidatin „wären eine mutige Wahl und ein eindeutiges Kontrast-Programm zu Donald Trump und J.D. Vance“. Damit würden die Chancen bei unentschiedenen Wählern steigen. Jeder Streit senke hingegen die Chancen. „Jeder Tag muss jetzt ein Wahlkampftag gegen Donald Trump und J.D. Vance sein – und nicht gegen die eigene Partei.“

Die Union zollt dem US-Präsidenten derweil Respekt. Der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt (CDU), sagte der „Rheinischen Post“ (Montagsausgabe): „Präsident Bidens Entscheidung zum Verzicht auf eine erneute Kandidatur erforderte viel Mut. Er hat damit wie in den dreieinhalb Jahren seiner Amtszeit Führung bewiesen.“

Hardt ergänzte: „Ich fürchte, dass damit eine neue Diskussion eröffnet wird, ob er denn überhaupt noch in der Lage sei, das Präsidentenamt für die nächsten sechs Monate wahrzunehmen.“ Ein Rücktritt als Präsident würde sofort Kamala Harris ins Weiße Haus bringen. „Das könnte ein großer Vorteil im Wahlkampf sein.“ Für Deutschland und die EU gelte nun: „Wir müssen mit jedem nächsten US-Präsidenten nicht nur zurechtkommen, sondern die transatlantische Partnerschaft angesichts der russischen Aggression noch vertiefen“, sagte Hardt.

Die Europapolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sieht wieder Chancen für die Demokraten. „Noch können die Demokraten die Wahl für sich entscheiden“, sagte Strack-Zimmermann der „Rheinischen Post“ (Montagsausgabe). Die FDP-Politikerin ergänzte: „Joe Biden ist ein überzeugter Transatlantiker und hat in diesen krisenhaften Jahren und angesichts der Aggression Wladimir Putins fest an der Seite Europas gestanden.“

Dass Biden seine Kandidatur nun aufgebe, „ist klug, auch wenn es ihm natürlich schwerfallen muss“. Klar sei aber, „dass egal, wer der neue Präsident der Vereinigten Staaten sein wird, Europa jetzt gefordert ist“. Sowohl wirtschaftlich als auch sicherheitspolitisch, sagte Strack-Zimmermann.

Foto: Michael Georg Link (Archiv) [dts]

 

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