In der Debatte um die Leistung der Deutschen Bahn während der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland hat ein Bahn-Gewerkschafter die Kritik von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) vehement zurückgewiesen.
„Was Verkehrsminister Wissing zur Rolle der DB Fernverkehr während der EM gesagt hat, kann ich aus der betrieblichen Praxis nicht bestätigen. Ich kann nicht erkennen, dass die während der EM zusätzlich durchgeführten Fahrten im Fernverkehr einen relevanten Einfluss auf die Auslastung des Netzes gehabt hätten“, sagte Manfred Scholze, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Fernverkehrssparte der Deutschen Bahn, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Dienstagsausgaben).
Wissing hatte am Wochenende erklärt, die Bahn habe sich seiner Auffassung nach mit der Ankündigung, während der EM täglich 10.000 zusätzliche Sitzplätze zur Verfügung zu stellen, „übernommen“. Was den Fans teilweise widerfahren sei, „entspricht nicht dem Anspruch Deutschlands und nicht dem Anspruch, den ich an unsere Verkehrsinfrastruktur habe.“
Scholze, Mitglied der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), sieht das anders. „Wir reden hier über 14 Züge am Tag, also ein Prozent aller Fernverkehrsfahrten und viel weniger in Bezug auf alle Züge auf dem Schienennetz. Es geht zum größten Teil über Fahrten am Tagesrand, also zum Beispiel spätabends, um die Fans nach den 21 Uhr-Spielen noch nach Hause zu bringen“, erklärte er. Zu dieser Uhrzeit sei das Netz ohnehin nicht so voll wie tagsüber. Darüber hinaus hätten die Zusatzfahrten auch dazu beigetragen, Spitzen in der Auslastung anderer Züge zu vermeiden.
Nicht der Fernverkehr sei schuld am Imageverlust Deutschlands, sondern die marode Infrastruktur, so Scholze weiter. Dagegen helfe eine auskömmliche und planungssichere Finanzierung, um die Fehleranfälligkeit des Netzes abzubauen. „Statt den Schwarzen Peter zur DB Fernverkehr zu schieben, sollte der Verkehrsminister sich beim Finanzminister für eine zukunftsfeste Schiene starkmachen“, forderte der Gewerkschafter.
Die EM-Bilanz der Deutschen Bahn schlägt seit Tagen hohe Wellen. Neben Wissing hatte sich aus der CDU-Abgeordnete Thomas Bareiß geäußert – und den Rücktritt von Bahnchef Richard Lutz ins Spiel gebracht. Die Bahn brauche einen Sanierer als Vorstandsvorsitzenden. „Herr Lutz kann diese Rolle ganz offensichtlich nicht ausfüllen. Wenn er es nicht schafft, die Bahn wieder auf Vordermann zu bringen, dann muss er gehen“, sagte Bareiß gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Laut Bareiß geben die Bahn „ein schauriges Bild ab – und das nicht nur während der EM“.
Während des knapp einmonatigen Fußballturniers in Deutschland war die Bahn immer wieder Ziel von Kritik. Zunächst hatten sich britische Fans über die Deutsche Bahn ausgelassen. Nach mehreren Unterbrechungen der Fahrt in einem Sonderzug auf dem Weg zum Spiel gegen die Niederlande im Berliner Olympiastadion hatten österreichische Fans Schmähgesänge angestimmt. „Die Deutsche Bahn ist so im Oasch“, sangen sie.
Foto: Züge auf dem Abstellgleis (Archiv) [dts]