Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, warnt vor kürzeren Arbeitszeiten in Deutschland. „Wir müssten nicht darüber reden, weniger zu arbeiten, sondern mehr“, sagte er dem „Spiegel“. „Hierzulande fehlen durch die Alterung der Gesellschaft bis zum Ende des Jahrzehnts rund 4,2 Milliarden Arbeitsstunden, selbst wenn ich damit rechne, dass 200.000 Arbeitskräfte jährlich netto zuwandern.“
Hüther verwies dabei auf die Schweiz, in der pro Jahr – auf alle Erwerbstätigen bezogen – 100 Stunden mehr gearbeitet werde als in Deutschland. Das entspreche zwei Stunden in der Woche. „Mich als Volkswirt interessiert aber nur die Gesamtzahl“, sagte der Ökonom. „Von mir aus kann man auch den Urlaub anders regeln oder ein paar Feiertage streichen.“ Er verwies auf den Buß- und Bettag, der bereits 1995 zur Finanzierung der Pflegeversicherung abgeschafft worden war. „Ein höheres Arbeitsvolumen ist möglich, wenn man es will“, sagte er.
Hüther äußerte sich im Rahmen eines Streitgespräches mit der Feministin Teresa Bücker. Die Autorin sprach sich im „Spiegel“ für eine „Neuverteilung“ der Arbeitszeit aus. „Wir brauchen eine Angleichung der Arbeitszeiten zwischen Männern und Frauen, um bei der Gleichberechtigung voranzukommen“, sagte sie.
Die Erwerbsmuster von Männern und Vätern hätten sich über Jahrzehnte kaum verändert, sie arbeiteten meist kontinuierlich in Vollzeit durch, sagte Bücker. „Das überwiegende Erwerbsmodell für Eltern sieht doch so aus: Mann arbeitet Vollzeit, Frau arbeitet Teilzeit.“ Der doppelte Vollzeitanteil bei Paaren sei relativ gering, und Paare mit doppelter Teilzeit müsse man mit der Lupe suchen. „Die sogenannten modernen Väter, die gibt es kaum. Das können wir nur ändern, wenn wir eine kürzere Vollzeitnorm definieren.“
Nach der Zeitverwendungsstudie des Statistischen Bundesamtes läge die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Müttern sogar ein bisschen über der der Väter. „Für Mütter ist einfach kein Spielraum da, ihre Zeit im Job zu erhöhen. Das ist das Grundproblem“, sagte Bücker. Frauen könnten Arbeitszeiten im Job nur dann erhöhen, wenn Männer familiär mehr übernähmen. „Eine kurze Vollzeitnorm ermöglicht es, Erwerbsarbeit und Care-Arbeit gerecht zu verteilen und könnte letztlich das jährliche Arbeitsvolumen sogar erhöhen“, sagte Bücker.
Uneinig waren sich die Diskutanten auch über die Folgen der Viertagewoche. „Bei der Viertagewoche denken die Leute meistens, dass sie selbst nur noch vier Tage arbeiten, aber drum herum könne alles so bleiben, wie es ist, und ihre Kita würde weiterhin fünf Tage lang ihre Leistungen anbieten. Das funktioniert natürlich nicht“, sagte Hüther. „Wenn wir die Viertagewoche zur gesamtwirtschaftlichen Maxime machen, schaffen wir uns mehr neue Probleme als wir alte lösen, vor allem Verteilungskonflikte.“
Bücker sagte: „Wir wissen durch Umfragen im Bereich der Pflege und Kitas, dass eine Viertagewoche Beschäftigte, die ausgestiegen sind und jetzt fachfremd arbeiten, dazu motivieren würde, wieder zurückzukommen.“
Foto: Büros (Archiv) [dts]