Angesichts zunehmender Warnungen aus der Wirtschaft wirft der Mannheimer Ökonom Tom Krebs der Ampelkoalition vor, die Auswirkungen der Energiepreiskrise zu unterschätzen. „Das Kanzleramt hat zusammen mit vielen Ökonomen Realitätsverweigerung betrieben und die Energiekrise nicht als eigenständige Krise akzeptiert“, sagte Krebs dem „Spiegel“.
In der Ampel herrsche die Einschätzung vor, Deutschland habe die Krise glimpflich überstanden, weil das Wachstum kaum gesunken sei. „Mit diesem Weltbild hat Bundesfinanzminister Christian Lindner dann verständlicherweise eine Normalisierung der Finanzpolitik angekündigt.“ Entscheidend sei aber, welches Wachstum ohne die Energiekrise möglich gewesen wäre, so Krebs weiter. „Allein da haben wir kurzfristig vier Prozent verloren, drei weitere Prozent durch die Coronakrise.“
Zudem habe die Energiekrise „die Inflation so angeheizt, dass Beschäftigte die größten Reallohnverluste der Nachkriegszeit erlitten haben“. Krebs forderte vor diesem Hintergrund eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse, um zusätzliche Investitionen zu ermöglichen. Deutschland befinde sich in einer Situation, die die Schöpfer der Schuldenbremse nicht vorhersehen konnten: „Erst zwei Jahre Coronakrise, und dann, als sich die Erholung schon abzeichnete, kam die Energiekrise. So etwas hatten wir noch nicht – selbst die Ölpreiskrise war im Vergleich harmlos.“
Zu Forderungen von Lindner und der FDP, mit einer steuerlichen Förderung von Überstunden für mehr Wachstum zu sorgen, sagte Krebs: „Das sind alles Nebelkerzen.“ In der Industrie sei zuletzt vor allem deshalb wenig gearbeitet worden, weil Anlagen nur mit halber Kraft liefen. „Da wurden eher Überstunden abgebaut.“ Im Dienstleistungssektor sei wiederum die hohe Teilzeitquote das eigentliche Problem, dabei helfe der Vorschlag überhaupt nicht. Die FDP wolle „Steuersenkungen mit der Gießkanne, aber die sind teuer und bringen wenig Wachstum“, kritisiert Krebs. „Was viel mehr bringen würde, sind Entlastungen für jene, die in die klimaneutrale Zukunft investieren.“
Foto: Robert Habeck und Olaf Scholz (Archiv) [dts]