Der Politikwissenschaftler André Brodocz warnt vor einem Scheitern der Energiewende im Osten, sollte die CDU nicht eindringlich für den Ausbau erneuerbarer Energien werben.
Im Ringen um mehr Klimaschutz habe man die Mehrheit der Bürger im Osten erst einmal verloren, sagte der Professor an der Universität Erfurt der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ). Gegen die Bevölkerung sei die Energiewende nur schwer durchzusetzen. „Es ist für die Grünen fast unmöglich, die Energiewende im Osten zu forcieren. Weil so viele Menschen hier die Grünen als Bedrohung der eigenen Identität wahrnehmen und die Partei teils sogar hassen, stellen sie sich auch gegen deren Projekte wie den Ausbau der erneuerbaren Energien.“
Die Lage erinnere an die Agenda 2010: SPD-Kanzler Gerhard Schröder habe die großen Arbeitsmarktreformen durchsetzen können. „Unter einer CDU-FDP-Regierung wäre das wahrscheinlich unmöglich gewesen, weil das – wie jetzt bei der „grünen“ Energiewende – massiven Widerstand des anderen Lagers erzeugt hätte“, so Brodocz. „Jetzt bräuchte es eigentlich eine CDU, die sich den klimapolitischen Herausforderungen wirklich stellt. Vielleicht kann sogar nur die CDU die Menschen erreichen, die man dafür erreichen muss.“
Es gebe einen „politischen Kurzschluss im Kopf vieler Menschen, zu sagen: Die Energiewende, die Maßnahmen zum Klimaschutz sind „doof“, weil das von den Grünen kommt“, so der Befund des Wissenschaftlers. Obwohl die Folgen der Erderwärmung, die Dürren, die Überschwemmungen, die Waldschäden jeden Tag sichtbar seien. „Und dann wird jedes andere grüne Projekt, so berechtigt es auch sein mag, für diese Menschen durch das Grün-Sein infiziert. Aus der Ablehnung einer grünen Identität wird so die Ablehnung von Windrädern und Elektroautos.“
Grund für Brodocz` Analyse sind der stockende Zubau von Windkraftanlagen in mehreren östlichen Bundesländern und die Änderung des Waldgesetzes in Thüringen, die CDU und FDP gemeinsam mit der AfD gegen die rot-rot-grüne Minderheitsregierung beschlossen haben. Das geänderte Waldgesetz macht das Errichten von Windkraftanlagen im Wald fast unmöglich. Der Politologe wirft der CDU vor, „seit dem Abgang von Angela Merkel einen Schritt zurück statt nach vorn gemacht“ zu haben. „In Thüringen bedient sie die Klimaschutz-Gegner und macht damit – siehe die Änderung des Waldgesetzes – teils gemeinsame Sache mit der AfD.“ Es sei sogar die CDU gewesen, die als erste ein De-facto-Verbot von Windrädern im Wald in Thüringen gefordert habe. „Dabei müsste gerade die CDU ihrer Klientel deutlich machen: Wir brauchen diesen Übergang in eine Welt ohne Öl, Gas und Kohle.“
Brodocz appellierte an die CDU: „Sie muss klar sagen, warum an der Transformation unserer Versorgung hin zu erneuerbaren Energien kein Weg vorbeiführt, dass das also nicht „grün“ ist, sondern schlicht im Interesse aller, vor allem der jungen und der nächsten Generationen.“ Es wäre ihre Aufgabe, zu sagen, wie sie das Ziel erreichen will, also auch andere Instrumente als die Grünen zu benennen. „Aber die Dringlichkeit verleugnen, weil die Wähler in Ruhe gelassen werden wollen? Das ist keine verantwortungsbewusste Politik.“
Weiter sagte Brodocz: „Ich wünsche mir nicht nur, aber vor allem von der CDU mehr Bereitschaft, Überzeugungsarbeit für den Aufbruch in eine postfossile Welt zu leisten, anstatt die momentan sehr ablehnende Stimmung einfach abzubilden.“ Es sei auch Aufgabe von Politik in einer repräsentativen Demokratie, Wähler davon zu überzeugen, dass etwas, was vielleicht ihrer derzeitigen Stimmung nicht entspricht, sehr wohl in ihrem ureigenen Interesse liegen könnte. „Dass das allerdings noch vor den anstehenden Wahlen beginnt, scheint mir eher unwahrscheinlich.“
Foto: Windräder (Archiv) [dts]