Voßkuhle fordert neuen Ansatz in Bildungsarbeit gegen Antisemitismus

Der Vorsitzende des Vereins „Gegen Vergessen – für Demokratie“, Andreas Voßkuhle, fordert, die bisherige Bildungsarbeit im Kampf gegen Antisemitismus in Deutschland zu überdenken. „Der Nationalsozialismus steht als Thema in allen Schulen auf dem Lehrplan, offenbar werden durch die Art der Vermittlung aber viele junge Menschen nicht richtig erreicht, vielleicht brauchen wir noch andere Kommunikationsformate, wir denken hier zu bürgerlich“, sagte der Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichtes dem „Tagesspiegel“ (Donnerstagsausgabe).

„Antisemitismus hat unterschiedliche Ursprünge. Viele, die sich jetzt zu Wort melden, haben zum Beispiel von den historischen Ursachen des Nahost-Konflikts wenig bis keine Ahnung. Da müssen wir fragen: Hat das auch mit unserer Bildungsarbeit in Deutschland zu tun?“, sagte Voßkuhle. „Wir sollten etwa darüber nachdenken, ob sich die historisch-politische Bildung an die richtigen Leute wendet. Oft richten sich Bildungsformate an diejenigen, die ohnehin schon gut informiert sind.“

Der von ihm geführte Verein „Gegen Vergessen – für Demokratie“ versuche daher Milieus anzusprechen, „die durch normale Bildungsarbeit zu wenig erreicht werden“. Seinem Verein erschienen vor allem die Menschen wichtig, die nach einer Studie der NGO „More in Common“ das „unsichtbare Drittel“ der Gesellschaft bildeten, sagte Voßkuhle. Andere sprächen von der „stillen Mitte“.

Das seien Menschen, die sich nicht mehr zu Wort melden. „Viele sind enttäuscht, frustriert und auch demokratiekritisch, andere sehen sich selbst als unpolitisch, lesen ungern Zeitung oder informieren sich nicht über seriöse Medien“, sagte Voßkuhle. Nach den neuesten empirischen Studien machten Rechtsextreme etwa acht Prozent der Bevölkerung aus, in manchen Gebieten etwas mehr. Bei der Frage, wen man adressiert, wenn man für unsere Demokratie wirbt, scheint klar: „Bei Rechtsextremen ist der Aufwand groß, die Erfolgsaussicht gering. Bei der stillen Mitte ist das aber anders, sie ist potenziell erreichbar.“

Ihn erstaune die „neue Infektionskraft“ des Antisemitismus, sagte Voßkuhle. Er habe sich solche Zeiten, in denen jüdische Bürger „bei uns Angst haben, auf die Straße oder zur Arbeit zu gehen, nicht vorstellen können. Diese Entwicklung macht mich fassungslos.“

Voßkuhle wies Bekenntnis-Appelle wie die von politisch Verantwortlichen an Muslimen, sich von der Hamas abzugrenzen, zurück. „Ich verstehe, wenn man sich das wünscht, wäre hier aber zurückhaltend. Wir leben in einer freiheitlichen Gesellschaft. Empathie und Solidarisierung erzeugt man nicht durch Appelle. Es ist wie mit der Liebe: Man kann sie nicht einfordern, man kann nur für sie werben“, sagte Voßkuhle dem „Tagesspiegel“.

Foto: Gang in einer Schule (Archiv) [dts]

 

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