Der seit Monaten laufende Streit um die Aufnahme der iranischen Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste geht weiter. Die Argumentation des Auswärtigen Amtes, wonach der Schritt rechtlich derzeit nicht möglich sei, werde durch ein nichtöffentliches Gutachten des Juristischen Dienstes des Europäischen Rats nicht gedeckt, berichtet die „taz“.
Drei Völkerrechtler, die die Zeitung um eine Bewertung bat, kommen demnach zum gleichen Ergebnis. Christian Marxen, Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin, sagte dazu: „In dem Gutachten werden die rechtlichen Voraussetzungen für eine Listung als Terrororganisation erörtert.“ Mit Blick auf die Revolutionsgarden wird erklärt, dass zwei US-Gerichtsentscheidungen keine hinreichende Grundlage für eine Listung der iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation seien, „allerdings findet sich in dem Gutachten keine Aussage dazu, ob es anderweitige Anknüpfungspunkte – zum Beispiel weitere Gerichts- oder Verwaltungsentscheidungen aus anderen Staaten – für eine solche Listung gibt“. Matthias Herdegen, an der Universität Bonn unter anderem Direktor des Instituts für Völkerrecht sowie Direktor am Center for International Security and Governance, kommt zu einem ähnlichen Schluss: „Die Positionen des Juristischen Dienstes liefern keine überzeugende Begründung gegen die Terrorlistung“, sagte Herdegen der „taz“. Es entstehe der Eindruck, dass sich die Bundesregierung „hinter einer schwachen juristischen Argumentation verschanzt“. Auch Lukas Märtin, Rechtswissenschaftler am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, ist skeptisch: „Dass die Voraussetzungen für eine Aufnahme der Revolutionsgarden gegenwärtig rechtlich nicht vorlägen, geht aus der Stellungnahme des Juristischen Dienst vom 15. Februar 2023 nicht hervor. Tatsächlich analysiert das Gutachten neben grundsätzlichen Erwägungen konkret nur zwei Beschlüsse von US-Gerichten – und mehr nicht.“ Vorgelegt wurde die Ausarbeitung am 15. Februar 2023 vom Juristischen Dienst des Europäischen Rates, dem „Council Legal Service“. In den Schlussfolgerungen heißt es darin unter anderem: Eine erste Aufnahme in die Liste erfordere das Vorliegen einer nationalen Entscheidung einer zuständigen Behörde. Und: Dieser Beschluss müsse „die Einleitung von Ermittlungen oder die Strafverfolgung wegen einer terroristischen Handlung, des Versuchs der Begehung einer solchen Handlung, der Teilnahme an einer solchen Handlung oder der Beihilfe zu einer solchen Handlung auf der Grundlage schwerwiegender und glaubwürdiger Beweise oder Anhaltspunkte oder die Verurteilung wegen solcher Taten betreffen“. Zudem stellt der Juristische Dienst fest, dass als Grundlage für eine Listung auch Entscheidungen von Ländern außerhalb der EU herangezogen werden könnten: „Stützt sich der Rat auf eine Entscheidung eines Drittstaats, so muss er sich vergewissern, dass diese Entscheidung unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven Rechtsschutz getroffen wurde“, heißt es in dem Gutachten. Weiterhin befasst sich das Papier mit zwei Bundesgerichtsurteilen aus den USA von 2020 und 2018 – darin geht es um den Terrorangriff auf die Khobar Towers in Saudi-Arabien im Jahr 1996, den demnach die IRGC verantwortet; der Fall liege laut Gutachten allerdings zu lange zurück. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen übte scharfe Kritik an Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne): „Die Außenministerin und das Auswärtige Amt täuschen seit bald einem Jahr die Öffentlichkeit und sagen im Bundestag bewusst die Unwahrheit, was den Inhalt des Gutachtens angeht“, sagte Röttgen der „taz“. Darin stehe keineswegs, dass eine Terrorlistung momentan nicht möglich sei. „Trotzdem behauptet die Außenministerin das immer wieder. In Wahrheit gibt es keine juristischen Probleme. Was fehlt, ist der politische Wille und die Bereitschaft der Außenministerin, für eine Terrorlistung innerhalb der EU zu kämpfen.“
Foto: Iran (Archiv) [dts]