Der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering fordert von der Politik mehr Gehör für die Belange alter und einsamer Menschen, auch wegen eines hohen Potenzials an AfD-Wählern. „Die Ansage, wir geben euch jetzt 20 Euro mehr Rente und dann haltet ihr den Mund, die löst nicht das Problem“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“ (Mittwochsausgabe).
„Die Einsamkeit in diesem Land wächst und wächst. Wir brauchen unbedingt in allen Kommunen Seniorenbeiräte“, ergänzte der 83-Jährige. „Die dürfen dann an Gemeinderatssitzungen teilnehmen oder werden zumindest gehört.“ Sie sollten mit Anträgen auf ihre alltäglichen Probleme hinweisen können, dass zum Beispiel die Ampelschaltung zu eng sei, um es rechtzeitig über die Straße zu schaffen oder dass mitten in der Stadt Toiletten fehlten oder ein Ort, um sich auszuruhen. Er könne der Politik nur empfehlen: „Wendet euch mehr diesem älteren Publikum zu. Die Älteren werden erheblich mit darüber entscheiden, wie stark die AfD wird, die AfD spricht auch Rentner bereits gezielt an.“ Gerade in Ostdeutschland würden sich Regionen mit einem überproportional großen Anteil alter, allein lebender Menschen herausbilden. Müntefering plädiert auch für flexiblere Rentenmodelle, auch in Anbetracht des Fachkräftemangels. „Heute sind etwa 15 Prozent der Menschen, die eigentlich Rentner sind, noch erwerbstätig. Warum werden wir da nicht insgesamt flexibler?“, so der frühere Bundesminister und Vizekanzler. „Es gibt Piloten, die wollen noch ein paar Jahre fliegen, ebenso Beamte, die noch nicht aufhören wollen. Es ist ein großer kulturhistorischer Irrtum, ein festes Renteneintrittsalter für alle festzulegen, weil die Menschen so verschieden sind“, so Müntefering weiter.
„Der eine kann mit 55 nicht mehr und den müssen wir absichern. Der andere will mit 71 noch arbeiten und muss das auch dürfen.“ Müntefering sprach auch über seine schwere Herz-Operation im Sommer: „Ich bin so zu drei Vierteln wieder gut drauf. Das war ziemlich knapp mit dem Herzen.“
Es sei ein interessantes Thema, mal offen über das Sterben zu reden und nachzudenken. „Für viele ist das ja ein Tabu. Die Sterbestunde ist aber nach der Geburtsstunde die zweitwichtigste Stunde im Leben.“ Mit Blick auf seine lange politische Karriere sagte Müntefering, zwar habe er gesagt, das Amt des SPD-Vorsitzenden sei das schönste „neben Papst“, aber von allen Aufgaben habe er den Fraktionsvorsitz im Bundestag am liebsten gemacht.
„Das entspricht meinem Naturell am meisten. Das ist konkret, hat Konsequenzen für das ganze Land und man kann Politik entscheidend gestalten, ihr eine demokratische und soziale Richtung geben.“
Foto: AfD-Logo auf Bundesparteitag (Archiv) [dts]