Anton Hofreiter (Grüne), Vorsitzender des Europaausschusses des Bundestags, warnt die Bundesregierung davor, bei der militärischen Unterstützung der Ukraine nachzulassen. „Die militärische Unterstützung darf nicht zur Disposition stehen, weil die Lage in der Ukraine deutlich dramatischer ist, als das bei uns wahrgenommen wird“, sagte Hofreiter der „Welt“ (Montagsausgabe).
Die Ukraine habe den Krieg nicht verloren, aber man müsse mehr tun. „Putin hat Oberwasser. Mit chinesischer Unterstützung läuft die russische Kriegswirtschaft seit Anfang des Jahres sehr intensiv. Die Waffenproduktion in Russland steigt ständig. Und in den umliegenden Ländern gibt es große Sorgen, dass Putin weitere Staaten attackieren könnte.“
Im Krieg zählten nicht nur Kampfmoral, sondern vor allem Waffensysteme: „Die Ukraine braucht mehr Munition, sie braucht Taurus-Marschflugkörper, Kampfflugzeuge, sie braucht größere Unterstützung bei der elektronischen Kriegsführung“, sagte Hofreiter. „Geschieht das nicht, droht ein jahrelanger Abnutzungskrieg.“ Westlichen Staaten, auch der deutschen Regierung, machte Hofreiter schwere Vorwürfe: Hätte man mehr Gepard-Panzer geliefert, könnte die Ukraine etwa russische Kamikazedrohnen besser bekämpfen.
„Dass die ukrainische Offensive nicht so funktioniert hat, wie man sich das vorgestellt hat, lag schlichtweg daran, dass insbesondere das schwere Gerät, also Kampfpanzer, erst geliefert worden sind, als es der russischen Armee gelungen ist, die Front zu verminen“, führte er weiter aus. Die Zögerlichkeit bei den Waffenlieferungen habe sich bitter gerächt. „Auch der Bundeskanzler trägt hier Verantwortung“, sagte Hofreiter mit direktem Bezug auf Olaf Scholz (SPD). „Das Motto im Kanzleramt war leider: Too little, too late – zu wenig, zu spät“, so der Grünen-Bundestagsabgeordnete.
„Offenbar wurde da auf eine Stimmung in der Bevölkerung Rücksicht genommen, sich nicht zu sehr einzumischen. Aber die Probleme verschwinden nicht, wenn man sie ignoriert“. Mit Blick auf die Haushaltskrise sagte Hofreiter: „Die Idee, man könne in dieser Lage hier die Schuldenbremse aufrechterhalten, ist doch Traumtänzerei.“ Man habe es mit einem Russland zu tun, das voll in die Kriegswirtschaft eingestiegen sei, mit einem China, das extrem aggressiv agiere und Taiwan bedrohe.
„Wir werden dem etwas entgegensetzen müssen, auch in der Rüstungsproduktion, das ist leider so“, sagte Hofreiter. „Die Abschaffung der Schuldenbremse ist deshalb schon aus sicherheitspolitischen Gründen notwendig.“ Skeptikern empfehle er eine Reise ins Baltikum: „Die Menschen dort haben einfach richtig Angst, dass Putin in der Ukraine nicht Halt macht.“ In Georgien und Armenien sei die Stimmung nicht anders.
„In den Regionen um Russland herum sind die Sorgen riesig. Wir haben als wirtschaftlich stärkstes Land Europas noch nicht wirklich begriffen, dass die Stunde geschlagen hat.“ Er rate jedenfalls dazu, sich auf Eventualitäten vorzubereiten. Wenn man jetzt richtige Entscheidungen treffe, „können wir Putins Imperialismus abwehren. Aber diese Entscheidungen müssen halt jetzt getroffen werden.“
Foto: Toni Hofreiter (Archiv) [dts]