In Deutschland gibt es vergleichsweise viele „vermeidbare“ Todesfälle. Ihr Anteil an allen Sterbefällen betrug 19 Prozent im Zeitraum von 2017 bis 2019, so das Ergebnis einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne, die am Dienstag veröffentlicht wurde.
Als „vermeidbar“ werden alle diejenigen Todesfälle von Unter-75-Jährigen eingestuft, die auf Basis des aktuellen Stands des medizinischen Wissens durch „Vorbeugung, Früherkennung beziehungsweise eine optimale Behandlung“ verhinderbar wären. Der Anteil ist erheblich, wenn beachtet wird, dass ein Großteil der Sterbefälle im Alter ab 75 Jahren erfolgt. Bei Männern ist der Anteil mit 24 Prozent höher als bei Frauen mit 13 Prozent. Die Studie offenbart bei vermeidbaren Sterbefällen ein beträchtliches Nord-Süd- und Ost-West-Gefälle: Demnach verringern diese die Lebenserwartung besonders stark in Ostdeutschland, vor allem in Vorpommern und Sachsen-Anhalt – und dies trotz großer Fortschritte, die bei der Reduzierung der vermeidbaren Sterblichkeit seit der Wiedervereinigung erreicht wurden. Aber auch einige von wirtschaftlichem Strukturwandel geprägte Regionen in Westdeutschland wie Ostfriesland, das Ruhrgebiet und das Saarland weisen eine ähnlich hohe vermeidbare Sterblichkeit auf. Die geringste Zahl an vermeidbaren Todesfällen verzeichnen dagegen die Schweiz und Südtirol, gefolgt vom Westen Österreichs und dem Süden Deutschlands. In Österreich gibt es ähnlich wie in Deutschland ein Ost-West-Gefälle zuungunsten des Ostens mit der höchsten vermeidbaren Mortalität in der Hauptstadt Wien. Dagegen sind die regionalen Unterschiede in der Schweiz vergleichsweise gering. „Obwohl der Süden Deutschlands mit der Metropolregion München und dem südlichen Baden-Württemberg im innerdeutschen Vergleich relativ gut dasteht, ist die vermeidbare Sterblichkeit in der Schweiz und in Südtirol noch einmal merklich niedriger“, fasste der BiB-Mortalitätsforscher Michael Mühlichen die Ergebnisse zusammen. Dabei ist der Abstand zur Schweiz und Südtirol in den letzten Jahren sogar noch gewachsen. „Insofern besteht in allen Regionen Deutschlands noch Potenzial, vermeidbare Todesfälle zu reduzieren“, so Mühlichen. Deutschland hat aber nicht nur bei vermeidbaren Todesfällen einen Nachholbedarf gegenüber seinen südlichen Nachbarn, „auch bei der Sterblichkeit im höheren Alter, vor allem im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zeigen sich Defizite“, so Pavel Grigoriev, Mitautor der Studie und Leiter der Forschungsgruppe Mortalität am BiB. Die hohe Zahl an vermeidbaren Todesfällen steht im Kontrast zu den Ausgaben im Bereich der Gesundheitsversorgung, die pro Kopf im weltweiten Vergleich mit zu den höchsten gehören.
Die Autoren sehen unter anderem Verbesserungsbedarf bei Präventionsmaßnahmen und -politiken, um gesundheitsschädigendes Verhalten wie etwa Rauchen oder Alkoholmissbrauch wirkungsvoller einzudämmen. Auch bei der Früherkennung und deren adäquater Inanspruchnahme hinke Deutschland hinterher. Viele Behandlungen setzten spät an, wenn Erkrankungen schon stark fortgeschritten seien, so die Forscher.
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