Nach einem weiteren tödlichen Schiffsunglück vor der griechischen Küste warnt der neue Frontex-Chef Hans Leijtens vor einer humanitären Krise im Mittelmeer. „Die Lage ist sehr dramatisch“, sagte Leijtens der „Süddeutschen Zeitung“ (Freitagausgabe).
„Meine Kollegen haben am Dienstag das Fischerboot entdeckt, auf dem mutmaßlich 600 Menschen Richtung Griechenland unterwegs waren – wohl eng zusammengepfercht von Schmugglern.“ Die Grenzschutzorganisation habe das Boot, wie es ihre Aufgabe ist, den Behörden vor Ort gemeldet, als es noch auf dem Mittelmeer unterwegs gewesen sei. „Es ist unfassbar traurig, dass es am Mittwoch gesunken ist und es zu einem erneuten tragischen Unglück gekommen ist.“ Er sei direkt nach Griechenland geflogen, um zu klären, was genau passiert sei „und wie wir mehr Schutz leisten können“. Die Zahl der nach Europa Fliehenden habe in den ersten Monaten dieses Jahres zwölf Prozent höher als im vergangenen Jahr gelegen. Ausgerechnet auf der Route über das Mittelmeer, „wo es sehr gefährlich ist, steigen die Zahlen um 160 Prozent“, sagte Leijtens. „Besonders aus Tunesien brechen viel mehr Menschen auf.“ Frontex führt das unter anderem auf neue Geschäftsmodelle der Schmuggler zurück. „Früher zahlte man bis zu 2.000 Dollar für einem Platz auf einem größeren Schiff, das relativ sicher nach Lampedusa kam. Aber diese Preise können sich viele der Migranten nicht leisten“, sagte Leijtens. Deshalb bauten die Schmuggler kleinere Boote – zusammengeschweißt innerhalb von 24 Stunden. Eine Überfahrt koste dann 400 bis 500 Euro.
Auf dem Meer würden Flüchtlinge oft noch mal zur Kasse gebeten, die Boote gar zum Kentern gebracht, wenn nicht gezahlt werde. Leijtens nennt das „unmenschlich und supergefährlich“. Die Politik dürfe nicht nur warten, bis die Schiffe kommen. „Wir müssen mehr dagegen tun, dass sie ablegen“, sagte Leijtens.
„Wir müssen den Menschen helfen, in ihren Heimatländern ein vernünftiges Leben zu führen und noch mehr in die Lebensumstände investieren.“ Seit 2015 sind bereits 25.000 Menschen beim Versuch gestorben, Europa auf dem Seeweg zu erreichen. „Ich wünschte, ich hätte den Einfluss, das Sterben zu stoppen“, so Leijtens weiter. „Aber wir können keine Wunder vollbringen. Wir überwachen ein Meer, das doppelt so groß ist wie Frankreich, Spanien und Italien zusammen.“
Es sei sehr schwer, jedem zu helfen, der in Not gerate.“ Denn die Menschen sind bereit, große Gefahren auf sich nehmen. Und natürlich versuchen sie unbemerkt, auf die europäische Seite zu kommen.“
Die wegen Vorwürfen illegaler Pushbacks unter Druck geratene EU-Organisation will Leijtens in seiner Amtszeit transparenter machen. „Wir müssen auch intern deutlich klarmachen, was unsere Standards sind“, sagte Leijtens. „Und wenn sie missachtet werden, wird das hart geahndet.“ Frontex müsse auch den Umgang mit Migranten verändern. „Zu tun, was das Gesetz fordert, ist nicht genug. Wir müssen immer daran denken, dass wir es mit Menschen zu tun haben, die sich in einer verzweifelten Lage befinden und oft gezwungen sind, ihre Heimat und ihre Familien zu verlassen.“
Foto: Mittelmeer [dts]