Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat für Asylverfahren an den EU-Außengrenzen geworben, dabei aber die Einhaltung europäischer Menschenrechtsstandards angemahnt. Grenzverfahren seien „Fluch und Chance zugleich“, sagte die Grünen-Politikerin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Samstagausgaben).
„Grenzverfahren sind hochproblematisch, weil sie in Freiheitsrechte eingreifen.“ Aber der Vorschlag der EU-Kommission sei die einzige realistische Chance, in einer EU von 27 sehr unterschiedlichen Mitgliedsstaaten auf absehbare Zeit überhaupt zu einem geordneten und humanen Verteilungsverfahren zu kommen. Dabei müsse sichergestellt werden, „dass niemand länger als einige Wochen im Grenzverfahren stecken bleibt, dass Familien mit Kindern nicht ins Grenzverfahren kommen, dass das Recht auf Asyl im Kern nicht ausgehöhlt wird“, forderte Baerbock. Kritische Fragen aus den Parteien, von Nichtregierungsorganisationen oder Kirchen seien daher wichtig. „Aber auch ein Nichthandeln hätte bittere Konsequenzen.“ Gerade bei den Grünen war Kritik an diesem Kurs laut geworden. Ohne eine gemeinsame europäische Antwort gehe der Trend schon jetzt „überall zu mehr Abschottung, mehr Pushbacks, mehr Zäune“, warnte die Grünen-Politikerin. „Und ohne Ordnung an den Außengrenzen ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein EU-Land nach dem anderen wieder über Binnengrenzkontrollen redet. Als Herzenseuropäerin will ich nicht, dass an Rhein und Oder wieder Schlagbäume hochgezogen werden.“ Zugleich mahnte Baerbock eine solidarische Verteilung der Flüchtlinge in Europa an – ohne verbindliche Aufnahmequoten zu fordern. „Der neue Vorschlag der EU-Kommission ist kompliziert, hat aber auch viele an den Tisch geholt, die bisher blockiert haben“, sagte sie. „Danach legt die Kommission jährlich fest, wie viele Menschen umverteilt werden müssen, und alle Mitgliedstaaten sagen fest zu, wie viele sie bereit sind aufzunehmen. Wer weniger Geflüchtete aufnimmt, muss sich anders beteiligen, etwa mit Ausgleichszahlungen an die besonders belasteten Staaten.“ Dass man in der EU seit Jahren keine funktionierende gemeinsame Asylpolitik habe, sei „Europas offene Wunde“, so Baerbock. Jetzt gebe es zum ersten Mal seit 2015 einen Kompromissvorschlag der EU-Kommission, der eine echte Chance habe, die sehr unterschiedlichen Anliegen in der EU zusammenzubringen. „Dazu gehören drei Elemente: Alle Flüchtlinge werden an der Grenze registriert. Alle EU-Staaten verpflichten sich auf einen verbindlichen Solidaritätsmechanismus. Und es werden nur Flüchtlinge verteilt, die auch eine Bleibeperspektive in Europa haben.“
Baerbock richtete eine Warnung an den wiedergewählten türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. „Die Türkei hat selbst viele Millionen Flüchtlinge vor allem aus Syrien aufgenommen, das sollten wir nie vergessen. Zugleich haben wir erlebt, wie verzweifelte Menschen für politische Erpressungsmanöver instrumentalisiert wurden“, sagte sie.
„Dazu darf es nie wieder kommen.“
Foto: Flüchtlinge vor dem mazedonischen Grenzzaun [dts]