Marburger Bund beklagt „Bürokratie-Irrsinn“ an Kliniken

Berlin – Die Ärzteorganisation Marburger Bund klagt über einen „Bürokratie-Irrsinn“ an Kliniken und fordert Regierung und Krankenkassen zum sofortigen Umsteuern auf. „Trotz jahrelanger Bekenntnisse zum Bürokratieabbau wird der Dokumentationsaufwand immer absurder“, sagte Verbandschefin Susanne Johna der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

Es sei „zum Verzweifeln“. Es könne nicht sein, dass in einer Zeit, in der Stationen wegen fehlenden Personals verkleinert, Patienten abbestellt werden müssten, Ärzte täglich drei Stunden mit Dokumentation und Datenerfassung von ihrer Arbeit abgehalten würden. Auf das im Ampel-Koalitionsvertrag vereinbarte Bürokratieabbau-Paket „warten wir bislang vergebens“, so Johna. Als „ersten Schritt“ verlangte die Marburger-Bund-Chefin einen „Realitätscheck“.

Die Ampel-Gesundheitspolitiker sollten sich dringend vor Ort anschauen, was da Tag für Tag passiere. „Allein für die Dokumentationssicherung erfassen wir mehr als 2,3 Millionen Datensätze jedes Jahr, jeder Satz besteht aus bis zu 50 Einzeleingaben. Das ist schlicht Wahnsinn.“ Hinzu komme, dass viele „vermeintliche“ Qualitätssicherungsinstrumente den Patienten überhaupt nichts brächten: „Ein immenser Teil der Bürokratie hat nichts mit Qualitätssicherung zu tun, sondern dient nur der Absicherung von Abrechnungen, weil dafür zahllose Zu- oder Abschläge dokumentiert werden müssen, jede zusätzliche kleine Nebendiagnose festgehalten werden muss“, sagte Johna.

Etliche Ärzte und Pflegekräfte seien komplett aus der Versorgung raus und machten nichts anderes als Kodieren und Abrechnen. Verantwortlich für den „Wahnsinn“ machte Johna vor allem die Krankenkassen und deren Spitzenverband GKV. „Die Misstrauenskultur auf Seiten der Kassen treibt inzwischen solche Blüten, dass ein großer Anteil der Finanzmittel von der Aufrechterhaltung des völlig übertriebenen Abrechnungsapparates aufgefressen wird“, so ihre Feststellung. „Es gibt etliche Kanzleien und Beratungsunternehmen, die von nichts anderem leben, als von der Abrechnungskontrolle.“ Auch Ärzte wollten kein Geld verschwenden: „Aber was ist das für ein Irrsinn, eine riesige Kontroll-Bürokratie über 100 Prozent der Arbeit zu ziehen, um wenige Prozent schwarze Schafe, die es geben mag, zu entdecken?“ Das sei „absolut unverhältnismäßig“ und davon profitiere kein einziger Patient.

Es brauche „dringend mehr Vertrauen seitens der Kassen“, so die Marburger-Bund-Chefin. Es gebe klare Regeln und Leitlinien für Behandlungen, die eingehalten würden. Zur Kontrolle reichten Stichprobenprüfungen statt eine Vollerfassung. „Die Kassendevise lautet: Was nicht dokumentiert wird, das ist nicht erledigt worden“, sagte Johna.

„Das geht völlig an der Realität vorbei.“ Natürlich könne man von einer Wundversorgung ein Foto machen, aber nicht von jedem Verbandswechsel. Dieser „Dokumentationswahn“ müsse endlich aufhören. Als weiteres Beispiel nannte sie Auflagen bei der Behandlung isolationspflichtiger Patienten.

„Dann muss zusätzlich dokumentiert werden, wie lange eine Pflegekraft braucht, um sich in Schutzkleidung zu werfen, um den Patienten zu versorgen. Sorry, aber das ist Quatsch, das ist pure Zeitverschwendung, das darf so nicht weitergehen.“ Eine „vernünftige Digitalisierung“ könne zwar etwas Abhilfe schaffen, aber das scheine noch Jahre zu dauern. Etliches müsse weiter per Hand eingepflegt werden, beschrieb Johna den Alltag.

„Es ist zum Verzweifeln, das raubt uns alles Zeit, die wir nicht haben.“ Notwendig sei eine Reform nach der Devise „Hände weg vom Schreibtisch, hin zu den Kranken“.

Foto: Krankenhausflur (dts)

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